Dr. med. Walter Meyer
- 21.02.1898, Wiesbaden
- Oktober 1980, Claro, England
- Mitglied seit 1928
- Geflohen 1937, England
- Wiesbaden
- Facharzt für Innere Medizin
Walter B. Meyer wurde am 21. Februar 1898 als Sohn des Sanitätsrates Dr. med. Gustav Meyer (1868-1949) und seiner Ehefrau Alice, geborene Gutmann (1877-1931) in Wiesbaden geboren. Die Familie Meyer bekannte sich zur jüdischen Glaubensgemeinschaft.
Sein Vater war ein beliebter Kurarzt in Wiesbaden, der viele prominente ausländische Kurgäste wie auch Angehörige der lokalen Oberschicht behandelte und hierdurch eine hohe gesellschaftliche Stellung erreichte. Jedes Jahr zum Internistenkongress lud er zahlreiche aus dem gesamten Reichsgebiet nach Wiesbaden angereiste Ärzte in sein Haus ein.
Ausbildung und Wirkungsstätte
Walter Meyer besuchte in Wiesbaden ein humanistisches Gymnasium und begann 1916 sein Medizinstudium zunächst in München. Im Sommer 1916, kurz nach Aufnahme des Studiums, wurde er als Sanitätssoldat zum Kriegsdienst eingezogen und diente später als Sanitätsunteroffizier an der Front in einem Feldlazarett. Im November 1918 wurde er aus der Armee entlassen.
Er nahm danach sein Medizinstudium erneut auf (in Würzburg, Köln und Frankfurt am Main) und schloss es 1921 an der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität mit dem Staatsexamen ab. Meyer erhielt seine ärztliche Approbation im September 1922 und wurde im November 1922 in Berlin mit seiner Arbeit „Ueber Beziehungen zwischen Coryza syphilitica neonatorum und Nasendiphtherie“ promoviert.
Nach seiner Zeit als Volontärassistent in verschiedenen Berliner Krankenhäusern war er als regulärer Assistent seit dem Jahre 1923 im Städtischen Krankenhaus Berlin Westend beschäftigt. Dort erlangte er eine Stellung als Oberarzt und schloss seine Ausbildung als Facharzt für Innere Medizin ab. 1928 kehrte er nach Wiesbaden zurück und übernahm eine leitende Position im Sanatorium Doktor Schütz. Zusätzlich ließ er sich nebenberuflich in der Wilhelmstraße 38 als Facharzt nieder, durfte aber dort aufgrund seiner Stellung in der Sanatoriumsgesellschaft nur konsultative Tätigkeiten ausüben. Das Sanatorium Doktor Schütz musste 1930 geschlossen werden. Meyer entschied sich daher, sich als praktizierender Arzt für Innere Medizin in Vollzeit niederzulassen und verlegte seine Wohnung und die Praxisräume in die Taunusstraße 6. Er bewarb sich um eine Zulassung zu allen Krankenkassen und erhielt diese nach wenigen Monaten zuerkannt.
In diesen Zeitraum fällt ein Ereignis, dem Walter Meyer im Rückblick wohl keine besondere Bedeutung zumaß, das aber nach Auffassung von Zeitzeugen ein wesentlicher Grund für seine späteren Schwierigkeiten mit der NSDAP direkt nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten gewesen sein könnte. Walter Meyer besuchte im November 1929 die Wiesbadener Lesung Kurt Tucholskys, der sich auf einer Lesereise durch ganz Deutschland befand und bereits damals von rechtsextremen Kräften angefeindet wurde. Nach Schilderungen von Willi Bröder, dem Chauffeur Walter Meyers, marschierte gegen Ende der Lesung eine SA-Truppe vor dem Veranstaltungsort auf, mit der Absicht, Tucholsky zu verprügeln. Als nach Ende der Lesung Walter Meyer den Veranstaltungsort verließ, wurde er offensichtlich mit Kurt Tucholsky verwechselt. Jemand aus der SA-Truppe schrie: „Das ist er!“ und es kam zu einer Prügelei, in deren Verlauf Walter Meyer verletzt wurde. Er konnte sich mühsam in das wartende Auto zu seinem Chauffeur retten.
Kurt Tucholsky erfuhr von diesem Vorfall und schrieb deswegen am 27.11.1929 Walter Meyer einen Brief. „[M]an hat mir erzählt, Sie seien am Abend meines Wiesbadener Vortrages mit mir verwechselt, von nationalsozialistischen Rüpeln angefallen und verletzt worden. Ich weiß nicht, ob diese Geschichte wahr ist – hoffentlich ist sie es nicht. Sollte sie jedoch zutreffen, so erlauben Sie mir, dem eigentlich Schuldigen, Sie um Verzeihung zu bitten und Ihnen die Hand zu drücken. Mir ist dieser Vorfall deshalb so unangenehm, weil ich gern meine Taten allein ausbade – ich hatte im Künstlerzimmer noch zu tun, und als ich herauskam, stand die ganze Straße auf dem Kopf. Mich haben sie nicht erwischt……..“ (Gesamtausgabe Kurt Tucholsky, Briefe 1913 bis 1935, Verlag Volk und Welt, 2. Auflage 1985).
Walter Meyer antwortete Tucholsky zwei Tage später mit einem Brief, der nach Aussage von Willi Bröder später den NS-Behörden zur Kenntnis gekommen sei – wie, ist allerdings völlig unklar.
Darin schreibt er (siehe Abbildung des Briefes): „Ich danke Ihnen verbindlichst für Ihren liebenswürdigen Brief. Die Vorkommnisse vom Samstag abend waren für mich weniger „schmerzhaft“ als deprimierend. Dass in Deutschland im allgemeinen und in der Kurstadt Wiesbaden im besonderen ein Mensch seiner Ueberzeugung wegen solchen Insulten ausgesetzt ist, hat mich nachhaltig erschüttert. Dabei war es mir eher eine gewisse Genugtuung, dass ich als Einheimischer für Sie, den Gast, die Prügel eingesteckt habe. Glücklicherweise ist ja auch mir nichts ernstes passiert. Ich wäre froh, wollten Sie das Ganze vergessen und nicht zum Schaden unserer Stadt verbreiten, was dem Rowdytum einzelner Lausbuben zuzuschreiben ist.“ (Deutsches Literaturarchiv Marbach, HS008172600).
Nicht zuletzt aufgrund der familiären Beziehungen – schon sein Vater war ja als Kurarzt in der oberen Gesellschaft und bei auswärtigen Kurgästen sehr beliebt – entwickelte sich die Praxis Walter Meyers in Wiesbaden seit 1930 ausgesprochen gut.
Im Januar 1932 heiratete Walter Meyer die aus Wiesbaden stammende Medizinalpraktikantin Vera Tendlau, die zu einer alteingesessenen jüdischen Familie gehörte. Ihr Vater war der in Wiesbaden niedergelassene Arzt Dr. Berthold Tendlau.
1933
Nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 bemerkte Walter Meyer allerdings bereits einen Rückgang der Konsultationen, der sich von dem sogenannten Boykott-Tag am 1. April 1933 an wesentlich beschleunigte. Dies betraf vor allem den Zustrom von besonders lukrativen Privatpatienten. Am 1. Oktober 1933 wurde Walter B. Meyer die Kassenzulassung entzogen, dies offiziell begründet mit politischer Unzuverlässigkeit (möglicherweise wegen des oben erwähnten Briefwechsels mit Kurt Tucholsky 1929). Walter Meyer selbst äußerte in einem Schreiben anlässlich des Entschädigungsverfahrens nach dem Kriege sein Unverständnis über diese frühe diskriminierende Maßnahme, schließlich sei er ja Kriegsteilnehmer gewesen. Für Juden, die am Ersten Weltkrieg aktiv teilgenommen hatten, galt zunächst das sogenannte Frontkämpferprivileg, das auf eine Intervention Hindenburgs eingeführt wurde. Durch diese Verordnung behielten sie in der Regel bis 1934/35 die Kassenzulassung. Der Wahnsinn und die Grausamkeit des Holocausts waren zu diesem Zeitpunkt noch weit entfernt. Meyers Unverständnis ist auch vor dem Hintergrund zu sehen, dass er sich ganz als Deutscher fühlte und auch so dachte. Er legte Protest gegen diese Maßnahme ein, seine Berufung wurde jedoch abgelehnt. Somit kam es, neben dem ohnehin schon abnehmenden Patientenstrom in der Privatpraxis, zu einem Wegbrechen der Einnahmen aus der Kassenarztpraxis.
Aufgrund der erheblich verringerten Einkünfte gab Walter Meyer seine Praxis in der Taunusstraße auf, verlegte seine Praxisräume wieder zu seinem Vater in die Wilhelmstraße 38 und nahm Wohnung bei seinen Schwiegereltern Dr. med. Berthold Tendlau und dessen Frau am Bismarckplatz 6, an beiden Stellen mietfrei.
Flucht nach Großbritannien 1935 / 37
Bei offensichtlich nicht mehr vorhandener Lebensgrundlage in Deutschland entschied sich Walter Meyer, nach England auszuwandern, wobei er zunächst 1935 offiziell zu Weiterbildungsbemühungen dorthin aufbrach. Er nahm ein Studium am London Hospital auf und bestand 1937 sein britisches Schlussexamen in Edinburgh. Hierdurch war er zur Praxisausübung in Großbritannien berechtigt. Mittlerweile hatte er gemeinsam mit seiner Frau Vera Meyer, geb. Tendlau, die später als Kinderärztin im National Health Service (NHS) arbeitete, durch einen offiziellen Umzug im März 1937 Deutschland vollständig den Rücken gekehrt. Durch die Mitnahme seiner Röntgeneinrichtung aus Wiesbaden versuchte er, die Existenzgründung in Großbritannien zu erleichtern. Allerdings war Walter Meyer in Großbritannien wegen der fehlenden Anerkennung seiner fachärztlichen Ausbildung aus Deutschland gezwungen, die Zuweisung zu einem Fachbereich und an einen Tätigkeitsort zu akzeptieren. Aufgrund seiner Tätigkeit als Kurarzt in Wiesbaden wurde er in Harrogate, North Yorkshire, eingesetzt, einem englischen Badeort etwa 25 km nördlich von Leeds und westlich von York. Als Arzt für Innere Medizin durfte er hingegen nicht mehr tätig werden. Nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges wurde Walter Meyer im Oktober 1939 von der Internierung als Enemy Alien befreit.
Auch in den Folgejahren begleiteten ihn in Harrogate berufliche Schwierigkeiten, da er mit Einführung des National Health Service (NHS) keine Privatpatienten mehr behandeln konnte und Harrogate als Badeort zunehmend unattraktiver wurde, wodurch die Patientenzahlen allgemein zurückgingen. Zudem musste Walter Meyer seinen Vater Gustav Meyer mit dessen zweiter Ehefrau Edith und seine Schwiegereltern Berthold Tendlau und dessen 1938 von ihm geschiedene Ehefrau Charlotte Gertrud, geb. Rothenstein und andere Verwandte unterstützen, die ihm und seiner Frau 1939 nach England gefolgt waren und bei der Ausreise ihre Vermögenswerte in Wiesbaden zurücklassen mussten.
Walter B. Meyer starb 82-jährig im Oktober 1980 im Bezirk Claro, North Yorkshire, zu dem Harrogate gehörte. Vera Meyer, seine Ehefrau, starb 89-jährig 1996. Ihre Grabstellen sind bisher unbekannt.
Danksagung
Großer Dank gebührt Pablo Meyer, Mexiko, der die ausführliche Geschichte der Familie Gustav und Walter Meyers sowie das eindrückliche Familien-Foto aus dem Jahr 1931 zur Verfügung stellte. Ebenso sei den Mitarbeitenden des Hauptstaatsarchivs Wiesbaden sowie des Stadtarchivs Wiesbaden für deren Unterstützung gedankt.
Besonderer Dank an die Mitarbeitenden des Marbacher Literaturarchivs.
Beitrag von Dr. med. Christoph Dietrich, Wiesbaden.
Quellen und Literatur
zu den Quellen







