Dr. med. Wilhelm Wolfson
- 26.10.1875, Graudenz, Westpreußen, heute Grudziądz, Polen
- 20.06.1936, Rom, Italien
- Mitglied seit 1930
- Hamburg
- praktischer Arzt
Am 26.Oktober 1875 wurde der dritte Sohn des Kaufmanns Leopold Wolfsohn und seiner Frau Rosalie, geb. Stein, in Graudenz/Westpreußen (heute: Grudziądz, Polen) geboren und als William Wolfsohn im Geburtsregister eingetragen. Seine Eltern waren jüdischen Glaubens. Er besuchte in Bromberg (heute Bydgoszcz, Polen) und Graudenz das Gymnasium. Das Zeugnis der Reife und erhielt er 1894.
Ausbildung und Wirkungsstätte
Medizin studierte William Wolfsohn an den Universitäten Breslau, Berlin, Königsberg, München und Freiburg i. Breisgau, wo er am 28.3.1899 die Approbation als Arzt erhielt. An der Münchner Universitätskinderklinik verfasste er bei Prof. Dr. Heinrich von Ranke seine Dissertation über das Thema „Melaena neonatorum“ und wurde 1900 an der Universität Leipzig promoviert. In seinem der Dissertationsschrift beigefügten Lebenslauf stellt er sich als „Wilhelm Wolfsohn“ vor.
Seiner Militärpflicht kam er 1896 sowie als Unterarzt von April bis November 1899 nach. In den Militärunterlagen wurde er als „William Wolfson“ geführt.
Zu Beginn des Jahres 1900 heuerte Wolfsohn als Schiffsarzt beim Norddeutschen Lloyd in Bremen an.
Über ein Jahr war er auf verschiedenen Auswandererschiffen von Bremen nach New York, Südamerika und Australien ärztlich tätig. In der Regel war ein Arzt für bis zu 2000 Passagiere und Besatzungsmitglieder zuständig. Die häufigsten Erkrankungen während dieser Reisen stellten Seekrankheit, Magen-Darmkrankheiten, Infektionen (Masern, Scharlach, Pocken etc.) und Verletzungen dar. Vor allem die beengten Unterbringungsverhältnisse der Zwischendeckpassiere prädestinierten für eine sehr schnelle Ausbreitung von Infektionskrankheiten. Die wichtigste ärztliche Tätigkeit war das Durchführen von Impfungen sowie zeitnahes Erkennen von Infektionserkrankungen und Einleitung von Quarantänemaßnahmen. Im Reichsmedizinalkalender 1901 wird Wolfson (seit dieser Zeit geänderter Nachname) als Arzt auf dem Dampfer „Karlsruhe“ geführt.
Im Anschluss ging Wolfson als Assistenzarzt in die Lungenheilstätten Beelitz. Die deutlich ansteigende Zahl Lungenkranker mit der Notwendigkeit einer Heilbehandlung hatte die LVA Berlin veranlasst, in Beelitz eine Spezialklinik bauen zu lassen, die 1902 eingeweiht wurde. Seine weitere Ausbildung erhielt Wolfson in Bad Nauheim bei Prof. Dr. Theodor Schott, der als Koryphäe für Herzkrankheiten galt.
Seit 1905 ist Dr. Wilhelm Wolfson in die Hamburger Ärztematrikel eingetragen und als praktischer Arzt in Hamburg-Winterhude niedergelassen. Mit diesem Schritt beantragt er 1906 die offizielle Änderung seines Vor- und Nachnamens, die jedoch (in Breslau) abgelehnt wird. Am 21.März 1906 tritt er zum evangelischen Glauben über.
Sein Bruder Max und mehrere Cousinen und Cousins mit Familien lebten inzwischen in Hamburg. Max Wolfsohn erwarb als Apotheker 1907 die Apotheke „Zum Ritter St. Georg“. Sein Cousin Arthur Wolfsohn war Apotheker in der Spaldingstraße, sein Cousin Leo Wolfsohn war Kaufmann im Zuckerhandel in Hamburg. Die Cousine Grete Angres (geb. Wolfsohn) lebte mit Familie ebenfalls in Hamburg. Wilhelm Wolfson hat nicht geheiratet. Seine Staatsangehörigkeit zu Preußen kündigte Wolfson 1913 zugunsten des Hamburgischen Bürgerrechts auf.
Ein erneuter Antrag zur offiziellen Namensänderung hatte 1914 partiellen Erfolg. In einem ausführlichen Briefwechsel begründet Wolfsons Rechtsanwalt den Wunsch seines Klienten damit, dass er schon als Kind mit dem deutschen Namen „Wilhelm“ gerufen wurde, sich deutsch (und nicht englisch) fühle und ihm der Name „William“ verhasst sei. Der Nachname Wolfson stünde seit seiner Militärzeit in den Unterlagen. Da er sich für den Militärdienst im Falle eines Krieges melden wolle, strebe er nach offizieller Beurkundung. Nur die „Eindeutschung“ des Vornamens wurde genehmigt. Trotzdem nannte er sich weiterhin Wilhelm Wolfson.
Von 1914 bis 1918 leistete Wolfson im 1.Weltkrieg als Stabsarzt Dienst. Er wurde nicht wesentlich verletzt und konnte im Anschluss an gleicher Stelle in Hamburg seine Praxis weiterführen. Sein Rechtsanwalt bescheinigt ihm unter Ärzten und in der Gesellschaft eine geachtete Stellung. Wolfson war geschichtsinteressiert, denn er wird 1912 als Subskribent für die mehrbändige Ausgabe der Werke Friedrichs des Großen geführt.
Im Jahr 1925 ist die Eintragung Wilhelm Wolfsons in die Liste der „Höhensonnenärzte“ der Vereinigung der Krankenkassenärzte Groß-Hamburgs dokumentiert. Der therapeutische Einsatz von Quarzlampen mit UV-Strahlung- im Volksmund als „Höhensonne“ tituliert- war seit mehr als 20 Jahren vor allem gegen Hauttuberkulose in Gebrauch. In den zunehmenden Ballungsgebieten der Großstädte mit schlechten Wohnbedingungen sowie Fehl- und Mangelernährungen trat jetzt die Rachitis bei Säuglingen und Kindern massenhaft auf. Es ist dem Kinderarzt Kurt Huldschinsky zu verdanken, der 1919 seine bahnbrechende, erfolgreiche Therapie der Rachitis mit 2-monatiger UV-Bestrahlung dokumentierte, eine zur damaligen Zeit segensreiche Bekämpfung der Rachitis ermöglicht zu haben. In der Folge griffen Krankenkassen die Therapie auf und propagierten für Kinder prophylaktische und therapeutische UV-Bestrahlungen, auch als „Lichtduschen“ und „Lichtbadeanstalten“ vermarktet. Viele niedergelassene Ärzte boten ebenso die UV-Bestrahlung als therapeutische Leistung an bevor nur wenige Jahre später orales Vitamin D für Kinder die Bestrahlung als Rachitis-Prophylaxe ablöste.
Belegt sind zwei (private?) Schiffsreisen: Im August 1925 reiste Wolfson von Hamburg nach Neapel. Im Jahr 1929 fuhr er auf der SS Deutschland mit der Hamburg-Amerika-Linie nach New York.
Nachdem er 1930 der Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten beigetreten war, nahm Wilhelm Wolfson 1932 an der XI. Tagung der Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten in Wien teil.
1933
Die Hamburger Ärztegremien wurden im April 1933 gleichgeschaltet. Eine Liste aller nach damaliger Definition „nicht-arischen“ niedergelassenen Ärzte wurde im September publiziert. Aufgrund seiner Teilnahme am 1.Weltkrieg und da er bereits vor 1914 in Hamburg eine Praxis führte, blieb Wolfson die Kassenarzt-Zulassung erhalten. Er zog jedoch mit seiner Praxis in das Nachbarhaus und bot hier weiterhin seine Sprechstunde an.
Es ist anzunehmen, dass Wilhelm Wolfson wie seine Kolleginnen und Kollegen unter den rassistischen Drangsalierungen und Boykottmaßnahmen stark zu leiden hatte. Er trug sich mit dem Gedanken, nach Italien auszuwandern, da er sich Ende 1935 bei der Deutschen Verrechnungskasse Berlin über die Möglichkeit erkundigte, Auswandererkapital nach Italien transferieren zu können. Im Sommer 1936 ist Wolfson nach Italien gefahren. Aus einem Briefwechsel zwischen den Hamburger Polizei-und Devisenbehörden und seinem Rechtsanwalt in Hamburg geht hervor, dass Wilhelm Wolfson am 20.6.1936 in Rom verstorben ist. Die Umstände des Todes sind unklar. Sein Haushalt und seine Praxisausrüstung wurden von seinem Rechtsanwalt als Testamentsvollstrecker versteigert.
Der Bruder Max (1872-1942) und seine Ehefrau Margarethe (1885-1942), geb. Cohn, wurden von Hamburg ins Ghetto Theresienstadt deportiert und in Treblinka ermordet (Yad Vashem). In Hamburg erinnern Stolpersteine an sie. Die Tochter konnte in die USA fliehen.
Der Bruder Alfred (1871-1936) war Bankier in Berlin und hat seine Grabstätte auf dem jüdischen Friedhof Berlin-Weissensee. Seine Ehefrau Irma, geb. David (*1885) wurde 1943 ins KZ Auschwitz deportiert und ermordet (Yad Vashem, Bundesarchiv-Gedenkbuch).
Die Schwester Else (1878-1916) hatte Karl Neumark geheiratet und lebte bis zu ihrem Tod in Bremen. Der Vater der Geschwister, Leopold Wolfsohn, war bereits 1905 in Graudenz verstorben. Die Mutter zog daraufhin zu ihrer Tochter nach Bremen, wo sie 1914 starb. Wilhelm Wolfsons Mutter Rosalie und seine Schwester Else haben auf dem jüdischen Friedhof Bremen-Hastedt ihre letzte Ruhestätte gefunden.
Beitrag von Prof. Dr. med. Irmtraut Koop, Hamburg. Stand 5.2.2025
Quellen:
Staatsarchiv Hamburg
314-15_FVg 4369 Wolfson, Wilhelm, Dr.
332-4_2473 Wolfsohn, William, Dr.med.
352-13_15 Karteikarten über jüdische Ärzte: M-Z, 1933-1946
Staatsarchiv Bremen: 4,24F –Schiffsakten der Seeschiffe
Archiwum panstwowe (Staatsarchiv) Torun, Polen
Stadtarchiv Bad Nauheim, Melderegister
Reichsmedizinalkalender 1901, 1903, 1904, 1931 (Wilhelm Wolfson)
Mitteilungen für die Hamburger Ärzte und Zahnärzte 1925, Nr.46
Ärzteblatt für Hamburg und Schleswig-Holstein 28.9.1936
Hamburger Correspondent 23.9.1933
Literatur:
Villiez, Anna v. Mit aller Kraft verdrängt. Entrechtung und Verfolgung „nicht arischer“ Ärzte in Hamburg 1933 bis 1945. Studien zur jüdischen Geschichte Band 11, München/Hamburg, Dölling und Galitz Verlag 2009, S.464-5
Kludas, Arnold. Die Seeschiffe des Norddeutschen Lloyd 1857-1970. Herford, Köhler Verlag 1991
Kuntz, Benjamin. Kurt Huldschinsky: „Licht statt Lebertran“. Mit Höhensonne gegen Rachitis. Jüdische Miniaturen. Band 282, Leipzig, Hentrich & Hentrich Verlag 2021
Weblinks
Ancestry.de / familysearch.org [ Wilhelm Wolfson, geb. 26.10.1875]
www.friedrich.uni-trier.de/de/volz/11/id/024000000/text/
https://collections.yadvashem.org/de/names/11658623
https://collections.yadvashem.org/de/names/11658621
https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/en1183625
https://collections.yadvashem.org/de/names/13986863
Quellen und Literatur
zu den Quellen








