Eine Erinnerungsarbeit der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten
In Erinnerung an

Dr. med.
Heinrich Davidsohn
1884 - 1963

Dr. med. Heinrich und Frieda Davidsohn 1909 © Canda Smith
Dr. med. Heinrich und Frieda Davidsohn 1909 © Canda Smith

Mitglied seit 1929

Enge Kooperation mit dem Biochemiker Leonor Michaelis in Berlin

Intensive Forschung zur Magenverdauung und Ernährung bei Säuglingen

Dissertation, Berlin 1909, Kopie des Titelblatts, Archiv H Je
Dissertation, Berlin 1909, Kopie des Titelblatts, Archiv H Je
Z Kinderheilk 1919, Archiv H Je
Z Kinderheilk 1919, Archiv H Je
Lilian Dreifuss mit Ihren Adoptiveltern Heinrich und Frieda Davidsohn, 1951 © Lilian Levy
Lilian Dreifuss mit Ihren Adoptiveltern Heinrich und Frieda Davidsohn, 1951 © Lilian Levy

Dr. med. Heinrich Davidsohn

  • 0‌8‌.‌0‌4‌.‌1‌8‌8‌4‌, Strasburg/Brodnica im früheren Westpreußen, Polen
  • 3‌0‌.‌1‌1‌.‌1‌9‌6‌3‌, London
  • Mitglied seit 1929
  • Geflohen 1934, England
  • Berlin
  • Facharzt für Innere Medizin und für Kinderkrankheiten

Heinrich Davidsohn wurde am 08.04.1884 als Sohn des Kaufmanns Hermann Davidsohn und dessen Ehefrau Johanna, geb. Ascher, in Strasburg im früheren Westpreußen geboren.

Geburtszertifikat 1884 © Canda Smith
Geburtszertifikat 1884 © Canda Smith

 

Ausbildung und Wirkungsstätte

Nach der Übersiedlung der Eltern aus Westpreußen nach Berlin besuchte Heinrich Davidsohn das Königstädtische Realgymnasium, später das Berlinische Gymnasium zum Grauen Kloster, an dem er Ostern 1903 das Abitur ablegte. Seit dem Sommersemester 1903 studierte er zunächst in Freiburg Medizin und wechselte nach dem ersten Semester nach Berlin. Vom 01.10.1905 bis 01.04.1906 leistete Heinrich Davidsohn in München den Militärdienst ab und konnte gleichzeitig die ersten klinischen Semester absolvieren. Nach Berlin zurückgekehrt legte er an der Friedrich-Wilhelms-Universität im Mai 1908 das Staatsexamen ab und wurde am 14.05.1909 mit der Arbeit „Über Zytotoxine“ promoviert. Die Opponenten bei Davidsohns öffentlicher Disputation seiner Doktorarbeit waren der spätere Internist in der I. Medizinischen Universitätsklinik der Charité Paul Fleischmann, der 1936 nach England fliehen wird und der spätere Neurologe und Muskiwissenschaftler Kurt Singer, der 1933 den jüdischen Kulturbund gründete. Kurt Singer starb 1944 im Ghetto Theresienstadt. 1909 heiratete Heinrich Davidsohn Frieda Heller. Im gleichen Jahr erhielt er die Approbation als Arzt. Als Medizinalassistent arbeitete Davidsohn in der Poliklinik der Chirurgischen Klinik der Charité sowie in der Poliklinik der Berliner II. Medizinischen Universitätsklinik.

Dissertation, Berlin 1909, Kopie des Titelblatts, Archiv H Je
Dissertation, Berlin 1909, Kopie des Titelblatts, Archiv H Je

Seit 1910 führte er eine Praxis in Berlin und war zudem im Kinderasyl der Stadt Berlin/Städtisches Waisenhaus in der Kürassierstarße in Berlin-Kreuzberg bei Heinrich Finkelstein und später bei Ludwig F. Meyer tätig. Zusätzlich forschte er im biologisch-biochemischen Labor am Berliner Städtischen Krankenhaus Am Urban bei dem bekannten Internisten und Biochemiker Leonor Michaelis, mit dem er gemeinsam zur Methode der Magensaftaziditätsbestimmung und der Bedeutung der Wasserstoffionenkonzentration im Magensaft publizierte. Ein Schwerpunkt seiner wissenschaftlichen Interessen bezog sich auf die Ernährung sowie auf die Physiologie und Pathologie der Magenverdauung bei Neugeborenen und Säuglingen. Davidsohn spezialisierte sich frühzeitig in Innerer Medizin sowie in der Kinderheilkunde. Am Ersten Weltkrieg nahm er aktiv bis zum November 1918 teil. Vorübergehend befand er sich französischer Kriegsgefangenschaft.

Heinrich Davidsohn als Student im Militärdienst © Canda Smith
Heinrich Davidsohn als Student im Militärdienst © Canda Smith
Z Exp Path Ther 1910, Archiv H Je
Z Exp Path Ther 1910, Archiv H Je

1919 veröffentlichte Davidsohn seinen stark beachteten und oft zitierten Beitrag über die Wirkung und Folgen des Hungers bei Kindern unter den Bedingungen des 1. Weltkrieges, insbesondere bei Waisenkindern in der Stadt Berlin.

In den 1920er und Anfang der 1930er Jahre betrieb er sehr erfolgreich eine große Familienpraxis in Berlin-Schöneberg. Zur Diagnostik verfügte Davidsohn über ein eigenes Röntgenlaboratorium und beschäftigte dafür zwei Assistentinnen.

Z Immunitaetsforsch Exp Ther, 1910, Archiv H Je
Z Immunitaetsforsch Exp Ther, 1910, Archiv H Je
Z Kinderheilk 1919, Archiv H Je
Z Kinderheilk 1919, Archiv H Je
Z Kinderheilk 1921, Archiv H Je
Z Kinderheilk 1921, Archiv H Je

 

Nach 1933

Nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten im Januar 1933 erlebte Heinrich Davidsohn mit seiner Familie die Diskriminierung der jüdischen Bevölkerung. Frühzeitig erkannte er die Folgen der antijüdischen Maßnahmen in der NS-Diktatur und suchte bereits 1933 nach Ausreisemöglichkeiten. Im Sommer 1933 ließ er sich in England zum Erreichen einer Lizenz zur ärztlichen Tätigkeit registrieren. Am 30.06.1934 meldete sich Heinrich Davidsohn gemeinsam mit seiner Ehefrau Frieda, geb. Heller, und der 15-jährigen Tochter Lilly offiziell in Deutschland ab. Die Wohnungseinrichtung, unter anderem der geschätzte Blüthner-Flügel, musste zurückgelassen werden.

Registrierungskarte in England, 06.07.1933 © Canda Smith
Registrierungskarte in England, 06.07.1933 © Canda Smith

Die Familie fand Zuflucht in England. Er erlernte rasch die englische Sprache und holte in kürzester Zeit das englische Staatsexamen nach. Davidsohn erhielt die Erlaubnis zu ärztlicher Tätigkeit durch ein Zeugnis der Westminster Hospital Medical School sowie Zertifikate in Edinburgh (L.R.C.P., L.R.C.S.) und Glasgow (L.R.F.P.S.).

Medizinisches Zertifizierungsformular, 1934 © Canda Smith
Medizinisches Zertifizierungsformular, 1934 © Canda Smith
Zeugnis, Westminister Hospital Medical School, London 1934 © Canda Smith
Zeugnis, Westminister Hospital Medical School, London 1934 © Canda Smith

In der zweiten Hälfte des Jahres 1935 konnte Davidsohn, der in England den Namen Henry John Davidson annahm, als General Practitioner in London seine Arbeit aufnehmen. Das in Berlin benutzte Röntgengerät war 1934 nach England transportiert worden. In seiner Praxis in London war es für Davidson ein wertvolles diagnostisches Hilfsmittel. Als der National Health Service (NHS) 1948 gegründet wurde, war Henry J. Davidson 64 Jahre alt. Wegen seines Alters erhielt er keine Zulassung, im Rahmen des NHS zu arbeiten. Fortan führte er bis Mitte der 1950er Jahre eine Privatpraxis. Seit 1948 praktizierte Henry J. Davidson in Park Square East, Regent’s Park.

Unterschrift 1951 im ersten Entschädigungsantrag,  Quelle Entschädigungsbehörde Berlin
Unterschrift 1951 im ersten Entschädigungsantrag, Quelle Entschädigungsbehörde Berlin
Briefkopf, London, Quelle Entschädigungsbehörde Berlin
Briefkopf, London, Quelle Entschädigungsbehörde Berlin
Unterschrift, Quelle Entschädigungsbehörde Berlin
Unterschrift, Quelle Entschädigungsbehörde Berlin

Das Ehepaar Davidson adoptierte 1946 die damals 7-jährige Waise Lilian Dreifuss, deren Eltern im Konzentrationslager Bergen-Belsen an den Folgen der Haft und des Hungers gestorben waren. Lilian Dreifuss überlebte das Konzentrationslager und den Transport aus Bergen-Belsen am 09./10.04.1945 in einem der drei „verlorenen Züge“ in den Osten und die Zeit nach der Befreiung trotz der Haftfolgen und schwerster Unterernährung.

Lilian Dreifuss mit Ihren Adoptiveltern Heinrich und Frieda Davidsohn, 1951 © Lilian Levy
Lilian Dreifuss mit Ihren Adoptiveltern Heinrich und Frieda Davidsohn, 1951 © Lilian Levy

Heinrich Davidsohn starb am 30.11.1963 79-jährig in London. Ihre Ruhestätte fanden Henry und Frieda Davidson, die 1971 verstarb, auf dem Gelände des Golders Green Crematoriums, das sich gegenüber des jüdischen Friedhofs Golders Green im Norden Londons befindet.

Drei Geschwister Heinrich Davidsohns, die Schwestern Therese Elias und Frieda Rappaport sowie der Bruder Julius Davidsohn, wurden im Holocaust in Auschwitz und in Theresienstadt ermordet. Drei weitere Schwestern, Hulda Gutermann, Gertrude Ephraim und Dr. med. dent. Else Levy, konnten aus Deutschland fliehen und gelangten nach Peru, Brasilien und nach England.

Eigene Publikationen (Auswahl)

  1. Untersuchungen über das fettspaltende Ferment des Magensaftes nebst Angaben zur quantitativen Bestimmung desselben. Berl Klin Wochenschr 1912; 49: 1132-1134
  2. Beitrag zur Magenverdauung des Säuglings. Z Kinderheilk 1913; 9: 470-474
  3. Die Wirkung der Aushungerung Deutschlands auf die Kinder unter besonderer Berücksichtigung der Waisenkinder in der Stadt Berlin. Z Kinderheilk 1919; 21: 349-407
  4. Neuere Arbeiten zur Physiologie und Pathologie der Magenverdauung beim Säugling. Arch Kinderheilk 1921; 69: 142-146
  5. Die künstliche Ernährung Neugeborener und junger Säuglinge in Anstalten. Z Kinderheilk 1922; 31: 367-398
  6. Mit Michaelis L. Die Bedeutung und Messung der Magensaftacidität. Z exp Path Ther 1910; 8: 398-413 sowie Biochem Z 1910; 28: 1-23
Danksagung

Lilian Levy, London, der Adoptivtochter Henry und Frieda Davidsons gebührt großer Dank für wichtige Hinweise zum Lebensweg der Davidsohn/Davidson-Familie. Ebenso sei der Enkeltochter Henry und Frieda Davidsons, Canda Smith, sowie ihren beiden Geschwistern für ihre große Hilfe bei der Spurensuche und für wertvolle Dokumente zur Familie Davidsohn sehr herzlich gedankt.


Quellen und Literatur
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Quellen/Literatur/Weblinks

Biografie von Dr. med. Heinrich Davidsohn

Verzeichnis der Quellen

  • Davidsohn H. Über Zytotoxine. Dissertation, Berlin 1909 [darin Lebenslauf, S. 48 f], Staatsbibliothek Berlin-Preußischer Kulturbesitz, SBB-PK, Sign. Ja 3380-1909,2
  • Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten (LABO)/Abteilung I, Entschädigungsamt, Entschädigungsakte Reg. Nr. 50.605 [Henry J. Davidson/Heinrich Davidsohn]
  • Archiv Lilian Levy, London, Adoptivtochter des Ehepaars Frieda und Henry Davidson seit 1946 [u. a. Buch mit Separat-Drucken der wissenschaftlichen Beiträge und Publikationen Heinrich Davidsohns]
  • Archiv Canda Smith, Enkeltochter Henry und Frieda Davidsons [u. a. Dokumente zur erneuten Qualifizierung Henry Davidsons in England, Zertifikate, Registrierungskarte als Arzt, Fotografien]

Verzeichnis der Literatur

  • Seidler E. Jüdische Kinderärzte 1933-1945. Entrechtet – Geflohen – Ermordet. Jewish Pediatricians – Victims of Persecution 1933-1945. Basel: Karger Verlag, 2007, S. 146

Verzeichnis der Weblinks