Dr. med. Heinrich Davidsohn
- 08.04.1884, Strasburg/Brodnica im früheren Westpreußen, Polen
- 30.11.1963, London
- Mitglied seit 1929
- Geflohen 1934, England
- Berlin
- Facharzt für Innere Medizin und für Kinderkrankheiten
Heinrich Davidsohn wurde am 08.04.1884 als Sohn des Kaufmanns Hermann Davidsohn und dessen Ehefrau Johanna, geb. Ascher, in Strasburg im früheren Westpreußen geboren.
Ausbildung und Wirkungsstätte
Nach der Übersiedlung der Eltern aus Westpreußen nach Berlin besuchte Heinrich Davidsohn das Königstädtische Realgymnasium, später das Berlinische Gymnasium zum Grauen Kloster, an dem er Ostern 1903 das Abitur ablegte. Seit dem Sommersemester 1903 studierte er zunächst in Freiburg Medizin und wechselte nach dem ersten Semester nach Berlin. Vom 01.10.1905 bis 01.04.1906 leistete Heinrich Davidsohn in München den Militärdienst ab und konnte gleichzeitig die ersten klinischen Semester absolvieren. Nach Berlin zurückgekehrt legte er an der Friedrich-Wilhelms-Universität im Mai 1908 das Staatsexamen ab und wurde am 14.05.1909 mit der Arbeit „Über Zytotoxine“ promoviert. Die Opponenten bei Davidsohns öffentlicher Disputation seiner Doktorarbeit waren der spätere Internist in der I. Medizinischen Universitätsklinik der Charité Paul Fleischmann, der 1936 nach England fliehen wird und der spätere Neurologe und Muskiwissenschaftler Kurt Singer, der 1933 den jüdischen Kulturbund gründete. Kurt Singer starb 1944 im Ghetto Theresienstadt. 1909 heiratete Heinrich Davidsohn Frieda Heller. Im gleichen Jahr erhielt er die Approbation als Arzt. Als Medizinalassistent arbeitete Davidsohn in der Poliklinik der Chirurgischen Klinik der Charité sowie in der Poliklinik der Berliner II. Medizinischen Universitätsklinik.
Seit 1910 führte er eine Praxis in Berlin und war zudem im Kinderasyl der Stadt Berlin/Städtisches Waisenhaus in der Kürassierstarße in Berlin-Kreuzberg bei Heinrich Finkelstein und später bei Ludwig F. Meyer tätig. Zusätzlich forschte er im biologisch-biochemischen Labor am Berliner Städtischen Krankenhaus Am Urban bei dem bekannten Internisten und Biochemiker Leonor Michaelis, mit dem er gemeinsam zur Methode der Magensaftaziditätsbestimmung und der Bedeutung der Wasserstoffionenkonzentration im Magensaft publizierte. Ein Schwerpunkt seiner wissenschaftlichen Interessen bezog sich auf die Ernährung sowie auf die Physiologie und Pathologie der Magenverdauung bei Neugeborenen und Säuglingen. Davidsohn spezialisierte sich frühzeitig in Innerer Medizin sowie in der Kinderheilkunde. Am Ersten Weltkrieg nahm er aktiv bis zum November 1918 teil. Vorübergehend befand er sich französischer Kriegsgefangenschaft.
1919 veröffentlichte Davidsohn seinen stark beachteten und oft zitierten Beitrag über die Wirkung und Folgen des Hungers bei Kindern unter den Bedingungen des 1. Weltkrieges, insbesondere bei Waisenkindern in der Stadt Berlin.
In den 1920er und Anfang der 1930er Jahre betrieb er sehr erfolgreich eine große Familienpraxis in Berlin-Schöneberg. Zur Diagnostik verfügte Davidsohn über ein eigenes Röntgenlaboratorium und beschäftigte dafür zwei Assistentinnen.
Nach 1933
Nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten im Januar 1933 erlebte Heinrich Davidsohn mit seiner Familie die Diskriminierung der jüdischen Bevölkerung. Frühzeitig erkannte er die Folgen der antijüdischen Maßnahmen in der NS-Diktatur und suchte bereits 1933 nach Ausreisemöglichkeiten. Im Sommer 1933 ließ er sich in England zum Erreichen einer Lizenz zur ärztlichen Tätigkeit registrieren. Am 30.06.1934 meldete sich Heinrich Davidsohn gemeinsam mit seiner Ehefrau Frieda, geb. Heller, und der 15-jährigen Tochter Lilly offiziell in Deutschland ab. Die Wohnungseinrichtung, unter anderem der geschätzte Blüthner-Flügel, musste zurückgelassen werden.
Die Familie fand Zuflucht in England. Er erlernte rasch die englische Sprache und holte in kürzester Zeit das englische Staatsexamen nach. Davidsohn erhielt die Erlaubnis zu ärztlicher Tätigkeit durch ein Zeugnis der Westminster Hospital Medical School sowie Zertifikate in Edinburgh (L.R.C.P., L.R.C.S.) und Glasgow (L.R.F.P.S.).
In der zweiten Hälfte des Jahres 1935 konnte Davidsohn, der in England den Namen Henry John Davidson annahm, als General Practitioner in London seine Arbeit aufnehmen. Das in Berlin benutzte Röntgengerät war 1934 nach England transportiert worden. In seiner Praxis in London war es für Davidson ein wertvolles diagnostisches Hilfsmittel. Als der National Health Service (NHS) 1948 gegründet wurde, war Henry J. Davidson 64 Jahre alt. Wegen seines Alters erhielt er keine Zulassung, im Rahmen des NHS zu arbeiten. Fortan führte er bis Mitte der 1950er Jahre eine Privatpraxis. Seit 1948 praktizierte Henry J. Davidson in Park Square East, Regent’s Park.
Das Ehepaar Davidson adoptierte 1946 die damals 7-jährige Waise Lilian Dreifuss, deren Eltern im Konzentrationslager Bergen-Belsen an den Folgen der Haft und des Hungers gestorben waren. Lilian Dreifuss überlebte das Konzentrationslager und den Transport aus Bergen-Belsen am 09./10.04.1945 in einem der drei „verlorenen Züge“ in den Osten und die Zeit nach der Befreiung trotz der Haftfolgen und schwerster Unterernährung.
Heinrich Davidsohn starb am 30.11.1963 79-jährig in London. Ihre Ruhestätte fanden Henry und Frieda Davidson, die 1971 verstarb, auf dem Gelände des Golders Green Crematoriums, das sich gegenüber des jüdischen Friedhofs Golders Green im Norden Londons befindet.
Drei Geschwister Heinrich Davidsohns, die Schwestern Therese Elias und Frieda Rappaport sowie der Bruder Julius Davidsohn, wurden im Holocaust in Auschwitz und in Theresienstadt ermordet. Drei weitere Schwestern, Hulda Gutermann, Gertrude Ephraim und Dr. med. dent. Else Levy, konnten aus Deutschland fliehen und gelangten nach Peru, Brasilien und nach England.
Danksagung
Lilian Levy, London, der Adoptivtochter Henry und Frieda Davidsons gebührt großer Dank für wichtige Hinweise zum Lebensweg der Davidsohn/Davidson-Familie. Ebenso sei der Enkeltochter Henry und Frieda Davidsons, Canda Smith, sowie ihren beiden Geschwistern für ihre große Hilfe bei der Spurensuche und für wertvolle Dokumente zur Familie Davidsohn sehr herzlich gedankt.