Eine Erinnerungsarbeit der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten
In Erinnerung an

Prof. Dr. med.
Otto Kestner
1873 - 1953

Prof. Dr. med. Otto Kestner © Margret Johannsen, Hamburg, Fotograf F. Kestner
Prof. Dr. med. Otto Kestner © Margret Johannsen, Hamburg, Fotograf F. Kestner

Mitglied seit 1925

Grundlegende Arbeiten zur Verdauungsphysiologie

Ordinarius für Physiologie an der Universität Hamburg

Dissertation, Heidelberg 1896 (Otto Kestner bis 1916 Otto Cohnheim)
Dissertation, Heidelberg 1896 (Otto Kestner bis 1916 Otto Cohnheim)
1. Aufl., 1899, in der Abb. 3. Aufl., 1911 © Archiv H Je
1. Aufl., 1899, in der Abb. 3. Aufl., 1911 © Archiv H Je

Prof. Dr. med. Otto Kestner

  • 3‌0‌.‌0‌5‌.‌1‌8‌7‌3‌, Breslau/ Wroclaw, Schlesien, Polen
  • 2‌1‌.‌0‌2‌.‌1‌9‌5‌3‌, Hamburg
  • Mitglied seit 1925
  • Geflohen 1939, England
  • Hamburg
  • Physiologe

Otto Cohnheim (1916 nach der evangelischen Taufe Namensänderung: Otto Kestner) wurde 1873 in Breslau als Sohn des bekannten Pathologen der Breslauer und seit 1878 der Leipziger Universität Julius Friedrich Cohnheim und seiner Ehefrau Martha, geb. Lewald, geboren.

 

Ausbildung und Wirkungsstätte

Otto Cohnheim besuchte die Thomasschule in Leipzig und studierte seit 1891 an den Universitäten Heidelberg und Leipzig Medizin. Das Staatsexamen legte er 1896 in Leipzig ab und wurde im gleichen Jahr an der Heidelberger Universität mit der Arbeit „Über das Salzsäure-Bindungsvermögen der Albumosen und Peptone“ promoviert, die er bei dem Heidelberger Physiologen Wilhelm Kühne angefertigt hatte.

Dissertation, Heidelberg 1896 (Otto Kestner bis 1916 Otto Cohnheim)
Dissertation, Heidelberg 1896 (Otto Kestner bis 1916 Otto Cohnheim)

Nach dem Studium war Cohnheim als Assistenzarzt bei Wilhelm Erb in der Medizinischen Universitätsklinik Heidelberg und danach als 2. Assistent im Institut für Physiologie der Universität Heidelberg tätig. Er war wissenschaftlich höchst kreativ und beschäftigte sich frühzeitig mit Fragen der intestinalen Resorption. Bereits 1898 wurde er an der Medizinischen Fakultät der Heidelberger Universität mit der Arbeit „Über die Resorption im Dünndarm und in der Bauchhöhle“ für das Fach Physiologie habilitiert, lehrte in diesem Fach und erhielt 1904 in Heidelberg eine außerordentliche Professur. Im gleichen Jahr hielt sich Kestner an der Universität Boston im Rahmen einer Gastprofessur auf.

1. Aufl., 1899, in der Abb. 3. Aufl., 1911 © Archiv H Je
1. Aufl., 1899, in der Abb. 3. Aufl., 1911 © Archiv H Je

Im Juni 1913 wechselte er als Extraordinarius nach Hamburg und übernahm im Mai 1919 als Ordinarius das Amt des Direktors des Institutes für Physiologie an der neu gegründeten Medizinischen Fakultät der Hamburger Universität. Am Ersten Weltkrieg nahm er im Sanitätsdienst teil und befasste sich mit Fragen der Luftfahrtphysiologie.

Otto Kestner 1925 zur Zeit seines Dekanates an der Hamburger Medizinischen Fakultät
Otto Kestner 1925 zur Zeit seines Dekanates an der Hamburger Medizinischen Fakultät

Kestner beschäftigte sich intensiv mit Fragen der Verdauungsphysiologie im Magen und Dünndarm, mit der Funktion des Pankreas, mit dem Eiweiß- und Kohlenhydratstoffwechsel sowie mit Ernährungsfragen und publizierte hierzu hochrangig und vielfältig. Er entwickelte einen eigenen „Kestnerschen Respirationsapparat“ für experimentelle Stoffwechseluntersuchungen. 1904 veröffentlichte Cohnheim sein wegweisendes Buch „Chemie der Eiweißkörper“. Er forschte zur Sekretion im Gastrointestinaltrakt und beschrieb als Erster aus einem Schleimhautextrakt das Enzym „Erepsin“, das später als ein Gemisch verschiedener Peptidasen analysiert und differenziert wurde. Neben der Verdauungsphysiologie und dem Metabolismus befasste sich Otto Kestner in späteren Jahren eingehend mit Fragen der Klimaforschung.

Lehrbuch Kestners 1908 (bis 1916 Otto Cohnheim)
Lehrbuch Kestners 1908 (bis 1916 Otto Cohnheim)

 

Nach 1933

Otto Kestner wurde am 31.03.1934 aufgrund des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 07.04.1933 an der Universität Hamburg entlassen und mit dem 30.06.1934 in den Ruhestand versetzt. Kestner reiste 1935 nach England und Schottland, während seine Familie zunächst in Berlin blieb. Er fand eine Tätigkeit in Bucksburn, einem Vorort von Aberdeen am Rowett Research Institute, das der Ernährungsforschung diente und von dem Londoner Geschäftsmann John Q. Rowett finanziell unterstützt wurde. Danach versuchte Kestner in Margate, Kent, ein Labor zur Erforschung des Klimas zu etablieren. Ende 1938 kehrte Kestner kurzzeitig nach Deutschland zurück.

Otto Kestner privat um 1930, © Margret Johannsen
Otto Kestner privat um 1930, © Margret Johannsen

 

Flucht nach Großbritannien 1939

Im Juli 1939 floh Otto Kestner mit seiner Familie aus Deutschland nach England. In Margate, Kent, fand er eine Tätigkeit im Royal See Bathing Hospital und konnte dort seine Klimastudien fortsetzen. Nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges war Kestner vom Juni bis November 1940 als Enemy Alien auf der Isle of Man interniert. Englische Kollegen bemühten sich um seine Entlassung aus der Internierung. In der Folge konnte Kestner am Animal Nutrition Institute der School of Agriculture der Universität Cambridge arbeiten.

1949 kehrte Kestner nach Hamburg zurück. Die Hamburger Universität hatte ihm 1945 den Status eines Emeritus zuerkannt.

Otto Kestner <br> © Margret Johannsen, Hamburg, <br> Fotograf F. Kestner, Sohn Otto Kestners, 1936
Otto Kestner
© Margret Johannsen, Hamburg,
Fotograf F. Kestner, Sohn Otto Kestners, 1936

Otto Kestner starb am 21.02.1953 79-jährig in Hamburg.

Eigene Publikationen (Auswahl)

  1. Chemie der Eiweißkörper. Braunschweig: Verlag Vieweg & Sohn, 1900 (3. Aufl. 1911)
  2. Physiologie der Verdauung und Ernährung. 23 Vorlesungen für Studierende und Ärzte. Berlin, Wien: Urban & Schwarzenberg, 1908
  3. Mit Knipping HW. Die Ernährung des Menschen. Berlin, Heidelberg: Springer Verlag, 1924 (3. Aufl. 1928)
  4. Der Verdauungsapparat als Ganzes, in: Handbuch der normalen und pathologischen Physiologie, Band 16, Bethe A, Bergmann G v, Embden G, Ellinger A [Hg], Berlin, Heidelberg: Springer Verlag, 1930
  5. Antibodies organ-specific against the anterior body of the pituary gland. J Physiol 1938; 92: 273-5
Danksagung

Besonderer Dank gebührt Margret Johannsen, Hamburg, der Enkeltochter Otto Kestners für weiterführende Hinweise sowie für die Überlassung persönlicher Fotografien (Fotograf F. Kestner, England, Sohn Otto Kestners, 1936).

Beitrag von Dr. med. Harro Jenss, Worpswede


Quellen und Literatur
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Quellen/Literatur/Weblinks

Biografie von Prof. Dr. med. Otto Kestner

Verzeichnis der Quellen

  • Bodleian Libraries. Society for the Protection of Learning and Science Oxford: MS.SPLS 417/8 und MS.SPLS 434/2
  • Staatsarchiv Hamburg ( StAHH ) Signaturen 314-15_R 1939 / 2894 und 113-5_B V 92b UA 35

Verzeichnis der Literatur

  • Bussche, H van den. Die Hamburger Universitätsmedizin im Nationalsozialismus. Forschung-Lehre-Krankenversorgung. Hamburger Beiträge zur Wissenschaftsgeschichte Band 24. Hamburg, Berlin: Dietrich Reimer Verlag, 2014: 38, 57-59, 463
  • Fischer I. Biographisches Lexikon der hervorragenden Ärzte der letzten fünfzig Jahre. Band I. Berlin, Wien: Urban & Schwarzenberg; 1932: 755
  • Matthews D. Otto Cohnheim-the forgotten physiologist. Br Med J 1978: 2 (6137): 618-9
  • Nicolaysen R. Kestner O., Heinrich O. In: Kopitzsch F, Brietzke D [Hg].Hamburgische Biografie, Band 4. ], Göttingen: Wallstein Verlag; 2008: 190-192
  • Voswinckel P. Biographisches Lexikon der hervorragenden Ärzte der letzten fünfzig Jahre. Berlin 1932-1933. Band III. Hildesheim, Zürich, New York: Georg Olms Verlag; 2002: 777
  • von Villiez A [A]. Mit aller Kraft verdrängt. Entrechtung und Verfolgung „nicht arischer“ Ärzte in Hamburg 1933 bis 1945. In: Schüler-Springorum S, Brämer A [Hg]. Studien zur jüdischen Geschichte Band 11. München, Hamburg: Dölling und Galitz Verlag; 2009: 318-20

Verzeichnis der Weblinks