Dr. med. Paul Rosengart
- 02.06.1896, Frankfurt a. Main
- 21.05.1962, Straßburg
- Mitglied seit 1926
- Geflohen 1938, Frankreich
- Frankfurt am Main
- Facharzt für Innere Medizin, speziell Magen-und Darmkrankheiten
„Ich, Paul Ludwig Heinrich Rosengart, bin am 2. Juni 1896 als Sohn des Dr. med. Josef Rosengart, Arzt für innere Krankheiten, zu Frankfurt a/M geboren. In meiner Vaterstadt besuchte ich von April 1903 an das Realgymnasium „Musterschule“, das ich im August 1914 nach bestandenem Notabiturium verließ, um als Kriegsfreiwilliger in das deutsche Heer einzutreten. Anfang September 1914 kam ich, nach kurzer militärischer Ausbildung beim 2. Nass. Feld-Artillerieregiment Nr. 63 Frankfurt ins Feld, wo ich bis November 1914 verblieb. Infolge einer Verletzung am Knie, die ich mir im Felde zuzog, kam ich zurück nach Deutschland in‘s Lazarett, aus dem ich Ende März 1915 als zeitweise dienstuntauglich entlassen wurde. Ich ließ mich nun an der Universität Frankfurt a/M immatrikulieren und begann im Sommersemester 1915 mein medizinisches Studium. Im September 1915 erneut eingezogen, unterbrach ich mein Studium, und kam nach infanteristischer Ausbildung beim Inf. Rat. Nr. 81 in Frankfurt anfangs März 1916 wieder in‘s Feld. Verwundet kam ich bei Verdun am 15. April 1916 in französische Gefangenschaft, in der ich bis zum Juni 1918 verblieb. Dann wurde ich wegen einer chronischen Malaria, die ich mir in Frankreich zugezogen hatte, in der Schweiz interniert. Ich verblieb dort bis zum November 1918 und wurde kurz vor Ausbruch der Revolution wieder nach Deutschland ausgeliefert. Nach meiner bald darauf erfolgten Entlassung aus dem Heeresverbande nahm ich mein medizinisches Studium wieder auf und zwar an der Universität Frankfurt a/M, an der ich während der ganzen Zeit meines Studiums verblieb. Nach dem Wintersemester 1919/20 bestand ich mein Physikum, nach dem Wintersemester 1921/22 mein medizinisches Staatsexamen“, so Paul Rosengart in seiner Dissertationsschrift „Über die Wirkung von Äther auf die Magenschleimhaut“, die er 1922 bei Professor Dr. Gustav von Bergmann in Frankfurt am Main vorlegte. Betreut wurde er bei seiner Dissertation von Gerhardt Katsch, der mehr als dreißig Jahre später Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten wurde.
Paul Rosengarts Vater Dr. med. Josef (Joseph) Rosengart, 1860 geboren, führte am Reuterweg 81 im Frankfurter Westend eine Praxis für Innere Medizin. Auch Josef Rosengart war seit 1926 Mitglied der Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten. Paul Rosengarts Mutter Wally, geborene Goldmann, war eine Nichte von Dr. Fedor Mamroth, der zeitweise Herausgeber der „Frankfurter Zeitung“ war.
Dr. Joseph Rosengart war gut befreundet mit dem Schriftsteller und späteren Literaturnobelpreisträger Hermann Hesse. Sie hatten sich zufällig bei einer Wanderung in der Schweiz kennengelernt. Dieser schreibt in seiner Autobiographie über ihn: „Während dieses kurzen Aufenthaltes in unserem Dörfchen kam Doktor Rosengart mir noch nicht eigentlich nahe, doch immerhin soweit, daß er mich viel später, da in seiner Stadt ein Vortrag von mir angekündigt wurde, als Wohngast in sein Haus am Reuterweg einlud. … Einige Jahre hindurch hatte ich Rosengart nur als Freund und Gönner, als guten und witzigen Gesprächspartner und lieben Gastgeber gekannt. Dann kam der Tag, an dem ich ihn auch als Arzt und er mich als Patienten kennen lernte. Im Jahre 1909 hatte ich auf einer norddeutschen Reise, wie früher schon manche Male, Tage heftigen Unwohlseins, die ich als Blinddarmreizungen erkannte. Ich schrieb an den Freund, daß ich ihn auf der Heimreise in Frankfurt besuchen und diesmal auch konsultieren möchte, er lud mich ein, und kaum hatte er mich angeschaut, so riet er mir unbedingt zur Operation, die ein ihm befreundeter Chirurg ausführen werde. Ich war einverstanden, ich wurde in ein Spital gebracht und operiert.“
Während Paul Rosengarts in seiner Dissertation erwähnten Gefangenschaft in Frankreich und Internierung in der Schweiz versorgte Hermann Hesse ihn mit Literatur. Zeit seines Lebens war Paul Rosengart ein großer Bewunderer Hesses, was er viel später in Briefen an ihn zum Ausdruck brachte: „Und jedem „Hesse“ wohnt ein Zauber inne, der mich beschützt und mir hilft, zu leben“ schrieb er 1952 an Hesse in Anlehnung an den Vers aus dessen berühmten Gedicht „Stufen“.
1961 beschrieb er in einem Brief ausführlich seine erste Begegnung mit Hesses 1919 erschienenen Roman „Demian“.
Ausbildung und Wirkungsstätte
In Frankfurt am Main promovierte Paul Rosengart in der Medizinischen Klinik bei Gustav von Bergmann. Dieser wechselte 1927 an die Charité, sein Nachfolger in Frankfurt wurde Franz Volhard aus Halle. Nach dem Staatsexamen arbeitete Rosengart im „Sanatorium Dr. Baumstark“ in Bad Homburg. Dieses war damals für Stoffwechselkrankheiten spezialisiert und existiert heute noch als „Klinik Dr. Baumstark“.
1927 verstarb sein Vater Dr. Joseph Rosengart, so dass er im selben Jahr die Frankfurter Praxis als Facharzt für Innere Medizin, speziell Magen- und Darmkrankheiten übernahm.
1925 hatte er in Mehlem (heute Bonn-Mehlem) Olga von Veltheim, geb. Schnitzler aus Köln geheiratet.
Sie war ein Patenkind von Johannes Brahms und bis 1924 in erster Ehe verheiratet gewesen mit Herbert von Veltheim, später Luftwaffenattaché an der deutschen Botschaft in Rom. Nach der Scheidung lebte sie in Frankfurt und Königstein im Taunus. Ihre Schwägerin Hildegard aus ihrer ersten Ehe war übrigens eine Tochter des Chemikers und späteren (1912 – 1925) Bayer-Generaldirektors Carl Friedrich Duisberg. Olga von Veltheim war keine Jüdin und blieb auch 1935 in Deutschland. Die Ehe wurde 1940 geschieden. Das von den Nazis erlassene Ehegesetz von 1938 begünstigte die rasche Scheidung von „Mischehen“, wohl auch in diesem Fall. Kinder hatte sie mit Paul Rosengart nicht, jedoch zwei Töchter aus der ersten Ehe mit Herbert von Veltheim. Sie verstarb 1970 in Köln.
Nach 1933
Flucht 1935 in die Schweiz und 1938 nach Frankreich
1935 musste Rosengart in die Schweiz fliehen. Weitere detaillierte biographische Angaben finden sich wiederum in der Autobiographie von Hermann Hesse: „Aber ich muss nun auch seines Sohnes Paul gedenken, den ich als Knaben kennen lernte und der als Gymnasiast oder Student in den Krieg von 1914 ziehen mußte. … Nun, er überstand den Krieg, kehrte heim, studierte Medizin, wurde Arzt und heiratete eine sehr liebenswerte arische Frau, übernahm nach des Vaters Tod, dessen Haus und Praxis, ich war dort noch einmal zu Gast. … Wenige Jahre später kam Hitler zur Macht, der junge Arzt mußte Praxis, Haus und Frau dahinten lassen und fliehen, machte böse Zeiten des Elends durch, trat beim Beginn des Zweiten Weltkriegs in die französische Armee ein, es hätte ihm passieren können, diesmal als Franzose in deutsche Gefangenschaft zu kommen. Doch kam es glücklicherweise dazu nicht. Heute hat er in Strasbourg eine große Praxis, und wenn er gelegentlich in die Schweiz kommt, besucht er mich, und wir sprechen von Frankfurt und seinen Eltern und von vielem anderen, was uns verbindet.“
In der Schweiz lebte Paul Rosengart in Massagno bei Lugano und arbeitete in einer kleinen chemischen Fabrik im nahen Melano. Dort entwickelte er 1937 eine „Methode zur Herstellung einer doppelten Verbindung von 5.5 Phenyläthylbarbitursäure“, die er 1939 mit dem deutschen Chemiker Erich Rabald von Boehringer (Mannheim) in den USA als Patent anmeldete.
Dass ausgerechnet u. a. mit Phenobarbital im Holocaust Behinderte gezielt getötet wurden, ist eine fürchterliche Tatsache: „In der Zeit des Nationalsozialismus wurde Phenobarbital zur gezielten Tötung Kranker und Behinderter eingesetzt. Hermann Paul Nitsche entwickelte 1940 in der Heilanstalt Leipzig-Dösen das Luminal-Schema, bei dem über mehrere Tage dreimal täglich Phenobarbital injiziert wurde. Die Tötungsmethode war unauffällig, da die Gabe von Phenobarbital als Beruhigungsmittel übliche Praxis war. An den Versuchen in Dösen starben etwa 60 Patienten.“ (Reinhard Tenhumberg).
1938 musste Paul Rosengart die Schweiz verlassen und fand Zuflucht in Frankreich. In Paris traf er auf andere deutsche Emigranten, u. a. auf den Verleger Kurt Wolff. Dieser hatte Jahrzehnte zuvor neben den Werken von Kafka, Trakl und anderen auch Heinrich Mann’s „Der Untertan“ verlegt. Erst kurz vor ihrem Tod bekamen Wolff und Rosengart durch Vermittlung von Hermann Hesse 1961 wieder Kontakt miteinander. Ende 1939 trat Paul Rosengart in die Fremdenlegion der französischen Armee ein und kämpfte mit dieser im 2. Weltkrieg als Militärarzt in Frankreich und Afrika gegen Nazideutschland. Dabei lernte er Edmée Bickart kennen, die er noch während des Krieges in Frankreich in der „freien Zone“ heiratete. Wie andere Emigranten musste er das französische Abitur sowie auch zumindest Teile des Medizinstudiums nachholen. Seit Ende des 19. Jahrhunderts und verstärkt durch mehrere Gesetze in den 1930er Jahren verfolgten nämlich der französische Staat und die Ärzteorganisationen eine sehr restriktive Politik gegenüber der Arbeit und Niederlassung nicht in Frankreich geborener Ärzte. Diese Maßnahmen wurden auch nach 1945 zunächst beibehalten. Paul Rosengart kam sicherlich sein Dienst in der französischen Armee während des gesamten Kriegs zugute. So erhielt er die französische Staatsbürgerschaft am 07. Januar 1947 und gründete im selben Jahr in Straßburg unter dem Namen Paul Louis Henri Rosengart eine neue Arztpraxis mit gastroenterologischem Schwerpunkt in der Rue Auguste Lamey, ganz in der Nähe der in den 1950er Jahren neu errichteten Synagoge des Friedens.
Er genoss hohe Anerkennung von Patienten und Angehörigen und publizierte 1947 seine Dissertation auf französisch. 1949 wurden Edmée und Paul Eltern von Didier Rosengart. Dessen Witwe Sophie Rosenzweig-Rosengart ist eine angesehene und mehrfach ausgezeichnete Journalistin bei ARTE und war eine wertvolle Stütze bei den Recherchen zu dieser Biografie.
Interessant sind verwandtschaftliche Bezüge von Paul Rosengart. Sein Cousin Siegfried Rosengart ging, inspiriert von Pauls Vater Joseph Rosengart, als Galerist nach dem 1. Weltkrieg in die Schweiz und ist der Vater der noch lebenden Angela Rosengart, die in Luzern mit der „Stiftung Rosengart“ ein namhaftes Kunstmuseum betreibt und mehrfach von Picasso porträtiert wurde. Es bestand auch eine entfernte Verwandtschaft zu Dr. med. Siegfried Thannhauser.
Während seiner Straßburger Zeit hatte Paul Rosengart mit Hermann Hesse einen Briefwechsel und besuchte ihn mehrfach in Montagnola. Beide verstarben innerhalb weniger Monate im Jahr 1962.
Danksagung
Ich bedanke mich bei Frau Sophie Rosenzweig, ihrer Tochter Noémie Rosengart und Frau Katerina Malina von der Stiftung Rosengart Luzern für die Unterstützung bei den Recherchen und die Überlassung der Fotos der Familie von Paul Rosengart.
Beitrag:
Dr. med. Ulrich Menges, Soest
Literatur
Amtliches Frankfurter Adressbuch 1925, 1929, 1934, 1936: https://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/periodika/periodical/titleinfo/8728805
Brath, Klaus: Hermann Hesse (1877–1962): Alles andere als ein robustes Naturell. Dtsch Arztebl 2012; 109(31-32): A-1551 / B-1335
Briefwechsel Hesse – Rosengart: https://www.dla-marbach.de/find/?tx_find_find[action]=index&tx_find_find[controller]=Search&tx_find_find[count]=25&tx_find_find[q][author]=&tx_find_find[q][date_bis]=&tx_find_find[q][date_von]=&tx_find_find[q][default]=Hesse Briefe rosengart&tx_find_find[q][not_date]=&tx_find_find[q][searchall]=&tx_find_find[q][title]=&tx_find_find[qParam]=1&cHash=ccf9bc0189c188f9efd15bfc3160bffa#tx_find
Das jüdische Adressbuch Frankfurts 1935. In: https://www.academia.edu/23854635/The_1935_Jewish_Frankfurt_Addressbook Weblinks
Déplaude, Marc-Olivier Une xénophobie d’État ? Politix, 2011/3 No 95, p. 207-231.
Engaés volontaires étrangers entre le 1er septembre 1939 et le 25 juin 1940 In: https://www.memoiredeshommes.sga.defense.gouv.fr/fr/arkotheque/navigation_facette/index.php? f=opendata mise à jour du 15 août 2022
Fallakte Rosengart, Paul; in https://arcinsys.hessen.de/arcinsys/detailAction?detailid=v7741827
Gothaisches genealogisches Taschenbuch der adeligen Häuser : der in Deutschland eingeborene Adel (Uradel). 1903. Vierter Jahrgang. Düsseldorf : Universitäts- und Landesbibliothek, 2015. urn:nbn:de:hbz:061:1-621313.
Hesse, Hermann: Hermann Hesse, Hrsg. von Volker Michels: Ein paar Erinnerungen an Ärzte. In: Autobiographische Schriften, Band / Jahrgang: 2003, Seiten 512 – 526. ISBN: 3-518-41112-8; Verleger: Suhrkamp, Frankfurt am Main
Hesse, Hermann: Gesammelte Briefe in vier Bänden, Hrsg. von Volker Michels. Band 3 (1936–1948) Frankfurt am Main 1982, ISBN 3-518-03162-7 und Band 4 (1949–1962) Frankfurt am Main 1986, ISBN 3-518-04717-5
Hesse, Hermann: Ausgewählte Briefe, zsgest. v. Hermann Hesse u. Ninon Hesse. Erw. Ausg. Frankfurt/M. : Suhrkamp 1981
Hesse, Hermann: Briefe von Paul Rosengart 1952 – 1961: Foto- und Reprographie. Eidgenössisches Departement des Innern EDI. Bundesamt für Kultur BAK. Schweizerische Nationalbibliothek NB
Klinik Dr. Baumstark Bad Homburg: aus: https://www.bad-homburg.de/de/erleben/erholen/reha-kliniken und https://lagis-hessen.de/de/odk/record/camefrom/dmap?id=1076
Meyer, Beate: „Jüdische Mischlinge“. Rassenpolitik und Verfolgungserfahrung 1933 – 1945. Studien zur jüdischen Geschichte Band 6. Hrsg. von Monika Richarz und Ina Lorenz. 4. Auflage, S. 68 -94. 2015 Dölling und Galitz Verlag GmbH München · Hamburg
Reichs-Medizinal-Kalender für Deutschland1926/27 (ersch. 1926): https://digital.zbmed.de/medizingeschichte/periodical/structure/5219803
Zu Rabald, Erich: http://daten.digitale-sammlungen.de/bsb00016339/image_73
Zu Wolff, Kurt: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Kurt_Wolff_(Verleger)&oldid=240530128
Bonner Zeitung 34. Jahrgang Nr. 259; 03. November 1925
SLA-Hesse-Ms-L-84-Rosengart-Paul Rosengart, Paul an Hesse, Hermann; Korrespondenz, 1952- 1961 (Dossier). Schweizerische Nationalbibliothek NB
Weblinks
https://library.si.edu/digital-library/book/indexofpatentsis1939unit
https://www.myheritage.de/research/collection-14015/frankre…414430-&action=showRecord&recordTitle=Paul+ROSENGART