Eine Erinnerungsarbeit der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten
In Erinnerung an

Dr. med.
Ernst Oppenheimer
1888 - 1962

Mitglied seit 1929

Dissertation 1913

Pharmakologe

USA Zusammenarbeit mit F. Netter

Titelblatt Dissertation 1913
Titelblatt Dissertation 1913

Dr. med. Ernst Oppenheimer

  • 3‌0‌.‌1‌2‌.‌1‌8‌8‌8‌, Frankfurt a. Main
  • 0‌6‌.‌0‌2‌.‌1‌9‌6‌2‌, Mill Valley, CA, USA
  • Mitglied seit 1929
  • Geflohen 1936, USA
  • Hamburg
  • Pharmakologe

„Ich wurde am 30.Dez. 1888 als Sohn des prakt. Arztes Sanitätsrat Dr. med. [Wilhelm, 1860-1920, Anm. I-Ko] Oscar Oppenheimer zu Frankfurt a.M. geboren. Die Schuljahre verbrachte ich an dem Reformrealgymnasium Musterschule, das ich Ostern 1909 mit dem Zeugnis der Reife verließ. Ich studierte: 1 Semester in Edinburgh, 5 Semester in München, die übrigen in Freiburg i.Br.“ Diesen Lebenslauf fügte Ernst Oppenheimer der schriftlichen Abfassung seiner Dissertation hinzu. Seine Mutter war Frida Oppenheimer, geb. Oppenheimer (1877-1905), eine Cousine seines Vaters.

 

Ausbildung und Wirkungsstätte

Im Pharmakologischen Institut der Universität Freiburg hatte er 1914 unter Leitung von Walther Straub, dessen Hauptforschungsgebiet die Digitalisglykoside darstellten, weitreichende Untersuchungen „Zur Frage der Fixation der Digitaliskörper im tierischen Organismus und besonders deren Verhalten zum Blut“ erfolgreich abgeschlossen. Mit dieser Arbeit entstanden wesentliche Erkenntnisse zur Bindung von Glykosiden bzw. Steroiden im Blut, die noch 1977 in einem Artikel des Biochemikers Ulrich Westphal gewürdigt wurden.

Titelblatt Dissertation 1913
Titelblatt Dissertation 1913
Arch F Experiment Pathol U Pharmacol 1921; 89(1): 17-28
Arch F Experiment Pathol U Pharmacol 1921; 89(1): 17-28

Nach dem Staatsexamen 1914 begann Oppenheimer als medizinischer Praktikant im Pharmakologischen Institut der Universität Freiburg. Die Unterbrechung dieser Weiterbildung wurde durch den 1.Weltkrieg erzwungen. Oppenheimer war von 1914 bis 1918 in ärztlicher Funktion im Sanitätsdienst eingesetzt. Seine pharmakologischen Forschungen konnte er von 1919 bis Ende 1921 in Freiburg bei Walther Straub fortsetzen. Es entstanden mehrere Publikationen zum pharmakologischen Verhalten von Bromiden, die Bestandteile von Antiepileptika und Beruhigungsmitteln (und bis heute in zahlreichen Medikamenten) sind. Gleichzeitig war er als Ausbilder im Studentenunterricht eingesetzt. In der Pharmakologie Freiburg und in der Deutschen Gesellschaft für Pharmakologie, die sich 1920 unter entscheidender Aktivität seines Chefs Walther Straub gründete, hat Oppenheimer wesentliche Kontakte für seinen weiteren Lebensweg knüpfen können, so mit Georg Pietrkowski, Heinrich Wieland (später Heidelberg), Paul Trendelenburg (später Berlin) u.a.

Ernst Oppenheimer und Georg Pietrkowski. Basel 1935. Quelle: Jodie Mc Vittie
Ernst Oppenheimer und Georg Pietrkowski. Basel 1935. Quelle: Jodie Mc Vittie
Tagung der Pharmakologischen Gesellschaft 1921. Quelle Jodie McVittie
Tagung der Pharmakologischen Gesellschaft 1921. Quelle Jodie McVittie
mit den Pädiatern Albert Eckstein und Erich Rominger, ca.1932. Quelle: Jodie McVittie
mit den Pädiatern Albert Eckstein und Erich Rominger, ca.1932. Quelle: Jodie McVittie

In die Freiburger Zeit fällt die Heirat mit Emma Sophie Müller (1893-1976). Sie kannten sich bereits aus Frankfurt und heirateten 1919. Ihr Sohn Klaus wurde 1920 geboren, später Lieselotte (1923) und Renate (1929).

Familie Oppenheimer (Ernst, Trudi, Emma, Georg) Weihnachten 1932.Quelle Jodie McVittie
Familie Oppenheimer (Ernst, Trudi, Emma, Georg) Weihnachten 1932.Quelle Jodie McVittie

Ab 1922 entscheidet sich Oppenheimer dauerhaft für eine Industrielaufbahn. Zunächst beginnt er als Mitarbeiter der pharmakologisch-wissenschaftlichen Abteilung der „I.G. Farben vorm. Fr. Bayer“, Leverkusen.  Mit einem großen Karrieresprung wechselt er bereits 1923 als Leiter der wissenschaftlichen Abteilung zur Krause-Medico-Gesellschaft nach München (G. Pietrkowski war bei KMG seit 1920 im wiss. Beirat). Auch auf Empfehlung des Pharmakologen Heinrich Wieland (Heidelberg) beginnt er 1927 als wissenschaftlicher Leiter der Spezialitätenabteilung (Herstellung von Fertigarzneimitteln) bei C.H.Boehringer Sohn. Boehringer hatte 1923 eine Zweigwerk in Hamburg-Moorfleet gegründet, so dass Oppenheimer in Ingelheim und Hamburg tätig war. Sein Aufgabengebiet umfasste auch „Propaganda“ [Informationen, Werbung, PR -Anm.I-Ko]. Oppenheimer erwarb für Boehringer u.a. 8 Patente vom Chemiker Helmut Legerlotz, darunter für das Präparat Synephrin, ein Adrenalinabkömmling zur Blutdrucksteigerung. Die klinisch-pharmakologische Charakterisierung ließ Oppenheimer in Berlin im Institut von Paul Trendelenburg durch Gustav Kuschinsky durchführen. Als Sympatol® konnte es so auf dem Markt erfolgreich eingeführt werden. Gewürdigt wurde von Boehringer besonders, dass er „dieses bis dahin wenig bedeutende Präparat bei Prof. Trendelenburg und Mitarbeitern profilieren ließ“. 1929 erhielt Oppenheimer (mit 13 weiteren Kollegen) Procura bei Boehringers Zweigniederlassung in Hamburg-Moorfleet. 1930 vereinbarte er mit Boehringer vertraglich, dass er Leiter der neu im Unternehmen gegründeten pharmakologischen Abteilung wird und u.a. für die Einleitung klinischer Prüfungen aller bei Boehringer hergestellten Stoffe verantwortlich ist. Es sollte zunächst ein Labor im Pharmakologischen Institut St. Georg in Hamburg angemietet und ab 1932 ein eigenes Labor bei Boehringer in Hamburg oder Ingelheim inkl.  technischer Assistenz geschaffen werden. Aufgrund der Weltwirtschaftskrise ist es dazu jedoch nicht gekommen.

Unterschrift Oppenheimers für die Procura bei Boehringer, Handelsregister 1929. Quelle: Staatsarchiv Hamburg, 231 7 B1998 69 Band1
Unterschrift Oppenheimers für die Procura bei Boehringer, Handelsregister 1929. Quelle: Staatsarchiv Hamburg, 231 7 B1998 69 Band1

Nach 1933

Nach eigener Kündigung wechselt Ernst Oppenheimer zum 1.1.33 als Direktor der Firma „Chemische Fabrik Promonta“ in Hamburg. Promonta stellte zu dieser Zeit neben anderen Pharmaka Extrakte aus verschiedensten Tierorganen, insbesondere aus endokrinen Drüsen, zu therapeutischen Zwecken her. Das Arbeitsverhältnis endete 2 Jahre später [StAHH 314-15_F 1903]. Nach Angaben seines Rechtsanwalts sah Ernst Oppenheimer für sich in Deutschland zu diesem Zeitpunkt kein Fortkommen. Nicht ausgeschlossen ist die Kündigung durch „Promonta“ aus rassistischen Gründen (bis 1911 war er Mitglied der jüdischen Gemeinde, danach – ebenso wie sein Bruder Georg – Mitglied der evangelischen Kirche). Unübersehbar waren für Oppenheimer die für ihn und seine Familie bedrohlichen NS-politischen Entwicklungen. Er sendet Bewerbungen ins Ausland, so auch an die „Gesellschaft für Chemische Industrie in Basel“ (CIBA). Hierüber gibt ein von CIBA erbetenes vertrauliches, sehr positives Empfehlungsschreiben der Fa. Boehringer mit Hervorhebung seiner stringenten, effizienten und verlässlichen Arbeitsweise Auskunft.

1936 Flucht in die Schweiz und in die USA

Im Juli 1936 erhält Oppenheimer eine Anstellung bei CIBA in Basel. Im November emigriert die gesamte Familie in die Schweiz. Vermutlich war bereits von Anbeginn der Anstellung die Flucht in die USA vereinbart. CIBA hatte für Ernst Oppenheimer eine Bürgschaftserklärung ausgestellt.

Im Dezember reisen Emma und die Töchter noch einmal nach Hamburg. Sie treffen sich mit Ernst in Southampton und reisen am 16.Dezember 1936 zusammen (der Sohn beendete die Schule in St. Gallen und folgte 1937) auf der SS Aquitania nach New York, USA. Ernst Oppenheimer ist ab 1937 Leiter der Pharmakologischen Abteilung der neu gegründeten „CIBA Pharmaceutical Company“ in Summit, NJ, USA und von 1943 bis zu seiner Pensionierung 1952 der Vice-President der Forschungsabteilung. Sein medizinisch-pharmakologischer  Forschungsschwerpunkt lag in der Endokrinologie, hier besonders auf dem Steroidsektor. Er war der Endocrine Society sehr verbunden, die von 1944 bis 2014 jährlich den von CIBA gestifteten „Ernst Oppenheimer Award“ für eine herausragende Forschungsarbeit vergab.

US Registerkarte 1942. Quelle: Ancestry.de
US Registerkarte 1942. Quelle: Ancestry.de

Gegen Ende seiner Tätigkeit entwickelte sich die Zusammenarbeit mit Frank H. Netter, mit dem Ernst Oppenheimer als Herausgeber von 1953 bis 1962 die berühmte „The CIBA Collection of Medical Illustrations“ – kurz „Netter-Atlas“ genannt- publizierte. Wie Netter in seiner Würdigung (s.u.) schrieb, erlebte er Oppenheimer initial als lautstarke, energetische Person, immer insistierend alle Zeichnungen intensiv und en Detail durchzugehen. Waren seine direkten, unverblümten kritischen Bemerkungen zu Beginn hart zu ertragen, bezeichnete sie Netter im Verlauf als hilfreich und der Sache verpflichtet. Es entwickelte sich eine beruflich-wissenschaftliche, von gegenseitigem Respekt geleitete und auch persönliche Freundschaft zwischen Netter und „Oppy“- wie er ihn nannte. Durch sein weites Netzwerk unter Klinikern und Wissenschaftlern gelang es Oppenheimer bedeutende Persönlichkeiten für die Mitarbeit an den „CIBA Collections“ zu gewinnen.

Naunyn Schmiedebergs Arch Pharmacol 1953; 219: 91-99
Naunyn Schmiedebergs Arch Pharmacol 1953; 219: 91-99
Netter, FH, Oppenheimer, E (Hrsg von  1953 bis1962). Quelle: Arch I-Ko
Netter, FH, Oppenheimer, E (Hrsg von 1953 bis1962). Quelle: Arch I-Ko

Frank Netter und der Endokrinologe Peter Forsham (Metabolic Research Unit, University of California, San Francisco) beschreiben in ihrem Nachruf Ernst Oppenheimer als der Forschung und Wissenschaft absolut verpflichteten Pharmakologen und Mediziner. Seine Zielstrebigkeit, Geradlinigkeit und seine kritischen Diskussionen machten ihn sowohl in der Industrie als auch bei Medizinern und Wissenschaftlern in den USA und international zu einem herausragenden und geschätzten Kollegen. Forsham bezeichnete es als glückliche Fügung, dass Ernst Oppenheimer 1937 wegen der politischen Umwälzungen in Europa zu CIBA Pharmaceuticals gekommen ist.

Ernst und Emma Oppenheimer zogen 1952 nach Mill Valley, CA, so dass Oppenheimer als „emeritus consultant“ an wöchentlichen Forschungsbesprechungen bei Forsham teilnehmen konnte. Die Entstehung des Volume 4 der „CIBA Collections“: “Endocrine System and selected Metabolic Diseases” initiierte und begleitete Ernst Oppenheimer bis zu seinem Tod 1962, seine Publikation erlebte er nicht mehr.

Quelle: CIBA Collections Of Medical Illustrations Endocrine System 1965
Quelle: CIBA Collections Of Medical Illustrations Endocrine System 1965

Nach 1945 besuchten Ernst und Emma Oppenheimer mehrfach mit ihren Kindern Deutschland, u.a.  Hamburg.

Emma Oppenheimer zog später zu ihren Kindern nach Seattle und starb 1979.

Grabstein Ernst Oppenheimer. Quelle Jodie McVittie
Grabstein Ernst Oppenheimer. Quelle Jodie McVittie

Der Bruder von Ernst Oppenheimer, Georg Oppenheimer, lebte in Frankfurt a.M. Er wurde 1942 im Alter von 52 Jahren nach Theresienstadt deportiert und 1943 im KZ Auschwitz ermordet. In Frankfurt erinnert ein Stolperstein an ihn. Die Schwester Gertrud Oppenheimer war Chemikerin in Berlin, floh 1936 nach Großbritannien und 1937 in die USA.

Eigene Publikationen (Auswahl)

  1. Gaunt, R., Tuthill, CS., Antonchak, N., Oppenheimer, E. Steroids which prevent cortisone from causing atrophy of the adrenal. Naunyn-Schmiedebergs Arch Pharmacol 1953; 219:91-99
  2. Netter, FH, Oppenheimer, E (Hrsg). The CIBA Collections of Medical illustrations. New York: Colorpress 1953-1962
  3. Oppenheimer, E. Zur Frage der Fixation der Digitaliskörper im tierischen Organismus und besonders deren Verhalten zum Blut. Biochem. Ztschr. 1913; 55:134
  4. Oppenheimer, E. Eine neue Methode zur Bestimmung des Broms in kleinsten Mengen. Arch f experiment Pathol u Pharmacol 1921; 89(1): 17-28
  5. Oppenheimer, E. Elektrokardiographische Studien an kleinen Warmblütern. Z Gesamte Exp. Med 1922; 28(1): 96-105
  6. Oppenheimer, E. Die Bromtherapie. Klin Wochenschr 1925; 4(21):1025-29
Danksagung

Mein sehr besonderer, tiefer Dank gilt den Enkelkindern von Ernst Oppenheimer, Jodie und Eric McVittie. Sie haben Details, auch von ihrer Mutter, sowie die so wertvollen Fotos zugesandt. Zu großem Dank verpflichtet bin ich Dr. Katrin Lege, Boehringer-Archiv, die großartige Einblicke in Lebenslauf und Tätigkeiten von E. Oppenheimer ermöglicht hat. Es war eine Freude, im Staatsarchiv Hamburg vor allem mit Unterstützung der Mitarbeiter:innen Einsicht in alle Akten zu erhalten und auszuwerten. Mein ganz herzlicher Dank gilt Dr. Harro Jenss für seine inspirierenden Diskussionen und seinen ansteckenden Enthusiasmus für das Projekt.

Beitrag:
Prof. Dr. med. Irmtraut Koop, Hamburg

 

 

Quellen

Staatsarchiv Hamburg:

StAHH 314-15_F 1903 / Oppenheimer, Ernst Adolf, Dr., 1936-1948

StAHH 231-7 B 1998 -69 Band 1 / C. H. Boehringer Sohn Zweigniederlassung

StAHH 352-3_VF4 / Chemische Fabrik Promonta GmbH, Hammer Landstrasse

StAHH 621-1_99 Chemische Fabrik Promonta GmbH

Firmenarchiv Boehringer Ingelheim (FABI), HReg 11/1, Dr. Ernst Oppenheimer

Jodie und Eric McVittie, Enkel von Ernst Oppenheimer, Seattle, USA; pers. Mitteilungen

Literatur

Kuschinsky, G. Untersuchungen über Sympatol, einen adrenalinähnlichen Körper. Naunyn- Schmiedebergs Arch Exp Pathol Pharmakol 1930; 156: 290-308

Löffelholz, K. The persecution of pharmacologists in Nazi Germany and Austria. Naunyn-Schmiedebergs Arch Pharmacol 2001; 383: 217-25

Löffelholz K., Trendelenburg U. Verfolgte deutschsprachige Pharmakologen: 1933 – 1945. 2.Auflage, Frechen, Schrör 2008, S. 119

Muscholl E. Die frühen Jahre der DGPT, wissenschaftliche Höhepunkte auf Tagungen und klassische Arbeiten ihrer Mitglieder. DGPT Mitteilungen 1995; 17: 3-10 [Erläuterung  der  auf der Fotographie befindlichen Mitglieder]

Netter, FH, Forsham, PH. Dedicated to Ernst Oppenheimer, M.D. In: The CIBA COLLECTION of MEDICAL ILLUSTRATIONS, volume 4 ENDOCRINE SYSTEM and SELECTED METABOLIC DISEASES, F.H.Netter, P.H.Forsham (guest ed.), New York: Colorpress 1965, S.vi-vii

Philippu, A. Geschichte und Wirken der pharmakologischen, klinisch-pharmakologischen und toxikologischen Institute im deutschsprachigen Raum. Innsbruck, Berenkamp 2004, S. 798

Westphal, U. Zur Bindung von Steroidhormonen an Serumproteine. Klin. Wschr. 1977; 55:877-880

 

Weblinks

https://www.ancestry.de/ [Aufruf v.19.3.2024)

https://frankfurt.de/frankfurt-entdecken-und-erleben/stadtportrait/stadtgeschichte/stolpersteine/stolpersteine-im-nordend/familien/oppenheimer-georg [Aufruf v. 13.4.2024)