Prof. Dr. med. Heinrich Schur
- 11.05.1871, Nachod /Böhmen, heute Náchod, Tschechische Republik
- 21.11.1953, Wien
- Mitglied seit 1925
- Wien
- Facharzt für Innere Medizin
Heinrich Schur wuchs in einer großen jüdischen Familie im früheren böhmischen Nachod in Österreich-Ungarn mit zehn Geschwistern auf. Sein Vater war David Salomon Schur, seine Mutter Therese, geb. Hahn. Der weitläufigen Familie Schur gehörte ein Textilunternehmen. In Nachod bestand um 1890 eine relativ große jüdische Landgemeinde mit einer langen Geschichte.
Nach dem Besuch des Braunauer Stiftsgymnasiums (heute Broumov, Tschechien) studierte Schur an der deutschen Karl-Ferdinand-Universität in Prag Medizin. Das Studium schloss er mit dem Staatsexamen und der Promotion 1894 ab.
Schur war verheiratet mit Maria, geb, Jirenec (geb. 07.03.1887, gest. 13.06.1966); der Sohn Franz lebte von 17.11.1921 bis 14.11.1955
Ausbildungsstätte und Wirkungsstätte
Heinrich Schur war seit 1894 bis 1897 als Hospitant und Aspirant an der Wiener II. Medizinischen Universitätsklinik bei Edmund Neusser tätig. 1897/ 98 arbeitete er am Institut für experimentelle Pathologie sowie kurzzeitig an der Wiener Universitätsklinik für Psychiatrie bei Richard Krafft-Ebing. Danach wurde er Sekundararzt im Allgemeinen Krankenhaus in Wien. Seit 1902 war Schur Assistent an der Allgemeinen Poliklinik bei Julius Mannaberg. 1905 wurde er für das Fach Innere Medizin an der Wiener Universität habilitiert.
Von 1905-1910 war er Vorstand der Medizinischen Abteilung am Mariahilfer Ambulatorium (später Kaiser-Franz-Josef-Ambulatorium und Spital). Seit 1910 wirkte Heinrich Schur als Primararzt (Chefarzt) und später Vorstand an der
I. Medizinischen Abteilung des Krankenhauses der Wiener Kaufmannschaft. 1915 erhielt er eine außerordentliche Professur an der Wiener Universität.
Seine wissenschaftlichen Arbeiten bezogen sich auf die Stoffwechselphysiologie und -pathologie, insbesondere auf die Purine, die Gicht und den Diabetes mellitus. Er beschäftigte sich zudem frühzeitig mit Erkrankungen des Magens und des Duodenums sowie mit Fragen der Ernährung. Er veröffentlichte monographische Werke, so über Magenkrankheiten, verfasste Handbuchbeiträge und etwa 100 wissenschaftliche Studien und Abhandlungen in Fachzeitschriften.
Nach 1933
Nach dem Einmarsch der Deutschen Wehrmacht und dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich im März 1938 wurde Heinrich Schur von den NS-Behörden die Venia legendi entzogen, zudem wurde er aus seiner Position als Vorstand am Krankenhaus der Wiener Kaufmannschaft vertrieben.
Durch seine nicht-jüdische Ehefrau war Schur geschützt und konnte in Wien überleben. Bis zum Ende der NS-Diktatur war er als „Krankenbehandler“ im Wiener Jüdischen Spital in der Malzgasse zugelassen und konnte die dortige Abteilung für Innere Medizin leiten.
Im Mai 1945 wurde er vom Staatssekretär Ernst Fischer zum vorläufigen Vorstand der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) Wien ernannt. Von diesem Amt trat Schur im September 1945 zurück.
Heinrich Schur starb 82-jährig am 21.11. 1953 in Wien. Seine erhaltene Grabstätte befindet sich auf dem Urnenfriedhof Simmering im 11. Wiener Bezirk.
Heinrich Schurs ältere Schwester, die 1863 geborene Elisabeth Löbl-Schur wurde im Dezember 1942 in das Ghetto Theresienstadt deportiert. Sie starb dort 81-jährig am 22.3. 1944. Seine jüngere Schwester, Fanny Trumet Bass / Fany Bassova, geb. 11. 2.1873, wurde 1944 in Auschwitz ermordet.
Heinrich Schurs Neffen, der 40-jährige Jurist Dr. Hans Schur wurde 1942 bei Raasiku / Estland und der 38-jährige Wilhelm Schur wurde 1943 in Auschwitz ermordet. Weitere Familienmitglieder wie Heinrich Schurs Nichte Emma Steiner / Ema Steinerova und der Neffe Dr.iur. Arnošt Bass wurden im Holocaust ebenfalls ermordet.
Beitrag:
Universitäts-Professor i.R. Dr. med. Michael Gregor, Tübingen
Dr. med. Harro Jenss, Worpswede
Literatur
Fischer I. Biographisches Lexikon der hervorragenden Ärzte der letzten fünfzig Jahre. Band 2, Berlin-Wien: Urban & Schwarzenberg 1933, S. 1422-1423
Kagan S. Jewish Medicine, Boston: Medico-Historical Press 1952, S. 316
Bauer-Merinsky J: Die Auswirkungen der Annexion Österreichs durch das Deutsche Reich auf die medizinische Fakultät der Universität Wien im Jahre 1938: Biographien entlassener Professoren und Dozenten. Wien: Diss., 1980, S. 244-246
Webseiten:
https://www.gedenkbuch.univie.ac.at/page/1/person/heinrich-schur, Stand 17.2.204
https://www.holocaust.cz/de/opferdatenbank/opfer/106124-elisabeth-l-blova/ [Elisabeth “Betty” Löbl, geb. Schur, geb. 10.1.1863, gestorben im Ghetto Theresienstadt 22.3.1944], Stand 25.3.2024
https://www.holocaust.cz/de/opferdatenbank/opfer/75757-fany-bassova/ [ Fany Bassova / Fanny Trumet Bass, geb. Schur, geb. 11.2.1873, deportiert aus Brünn / Brno im März 1942 nach Theresienstadt, von dort am 18.5.1942 Deportation nach Auschwitz, ermordet], Stand 25.3.2024
https://www.holocaust.cz/de/opferdatenbank/opfer/122706-hanus-schur/ [ Dr. iur. Hanuš (Hans) Schur, geb. 17. 11. 1902, Sohn von Heinrich Schurs Bruder Dr. iur. Isidor Isaac Schur, 1942 deportiert aus Prag nach Theresienstadt, von dort Deportation nach Raasiku / Estland am 1. 9. 1942, ermordet], Stand 25.3.2024
https://www.holocaust.cz/de/opferdatenbank/opfer/122711-vilem-schur/ [ Wilhelm ( Vilém ) Schur, geb. 11.11.1905, Sohn von Heinrich Schurs Bruder Dr. iur. Isidor Isaac Schur, 1942 deportiert aus Prag am nach Theresienstadt, von dort Deportation am 6.9.1943 nach Auschwitz, ermordet], Stand 25.3.2024