Eine Erinnerungsarbeit der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten
In Erinnerung an

Prof. Dr. med.
Rudolf Schindler
1888 - 1968

Prof. Dr. med. Rudolf Schindler mit semiflexiblen Gastroskop, Foto privat
Prof. Dr. med. Rudolf Schindler mit semiflexiblen Gastroskop, Foto privat

Mitglied seit 1925

Begründer der modernen Gastroskopie

Nach 1934 führender Gastroenterologe in den USA

Mitbegründer der
Vorläuferorganisation
der ASGE

Münchener Medizinische Wochenschrift 1932
Münchener Medizinische Wochenschrift 1932
1st Edition 1937, hier 2nd Edition 1950
1st Edition 1937, hier 2nd Edition 1950

Prof. Dr. med. Rudolf Schindler

  • 1‌0‌.‌0‌5‌.‌1‌8‌8‌8‌, Berlin
  • 0‌6‌.‌0‌9‌.‌1‌9‌6‌8‌, München
  • Mitglied seit 1925
  • Geflohen 1934, USA
  • München
  • Niedergelassener Facharzt für Magen-, Darm- und Stoffwechselkrankheiten

„Ich, Rudolf Schindler, jüdischen Glaubens, wurde als Sohn des Bankiers Isidor Schindler am 10. Mai 1888 zu Berlin geboren, besuchte das Kgl. Wilhelmsgymnasium zu Berlin und erlangte dort Michaelis 1905 das Zeugnis der Reife“, so Schindler im Lebenslauf in seiner Dissertationsschrift. Seine Mutter war Martha Schindler, geb. Simon, die künstlerisch begabt, ihren Sohn frühzeitig für Musik und Sprachen interessierte.

 

Ausbildung und Wirkungsstätte

Schindler studierte in Freiburg und Berlin Medizin. An der Berliner Universität legte er im Dezember 1910 das Staatsexamen ab und wurde im März 1912 mit der Arbeit „Ein Fall von Meningocele spuria traumatica kombiniert mit Pachymeningitis haemorrhagica interna“ promoviert, die er bei dem Pädiater Heinrich Finkelstein angefertigt hatte. Im November 1913 wechselte er nach München und arbeitete als Assistenzarzt im Institut für Pathologie bei Siegfried Oberndorfer, dem Erstbeschreiber des Carcinoids. Diese Tätigkeit wurde durch den Ersten Weltkrieg unterbrochen, an dem Schindler aktiv im Sanitätsdienst teilnahm und mehrere Auszeichnungen erhielt. 1919 begann er seine internistische Ausbildung bei dem Stoffwechselforscher Otto Neubauer an der II. Medizinischen Klinik am Städtischen Klinikum München-Schwabing.

Dissertation, Berlin 1912
Dissertation, Berlin 1912

Die Erfahrungen während des Ersten Weltkrieges mit Soldaten, die an Magenkrankheiten litten sowie eine eigene Erkrankung motivierten Schindler, sich eingehend mit der Magenpathologie zu befassen. Die chronische Gastritis wurde zu einem wichtigen Forschungsthema Schindlers.

Im Zentrum seiner Arbeiten standen die Fragen der Magendiagnostik und die Beschäftigung mit der Weiterentwicklung der Gastroskopie. Schindler berichtete in einem späteren Vortrag, dass er im Klinikum Schwabing ein bisher unbenutztes Ösophagoskop des Instrumentenentwicklers und HNO-Arztes Wilhelm Brünings vorfand, das ihn zur intensiven Beschäftigung mit der Endoskopie angeregt habe. Frühzeitig sammelte er Erfahrungen mit einem von ihm selbst modifizierten starren Gastroskop Hans Elsners. 1922 publizierte er einen umfangreichen Artikel zur Technik und zu den Problemen der starren Gastroskopie im Archiv für Verdauungskrankheiten („Boas-Archiv“). Im Jahr darauf erschien Schindlers wegweisendes Lehrbuch und Atlas der Gastroskopie. Das Werk stieß rasch auf nationales und internationales Interesse.

1924 ließ sich Schindler als Facharzt für Magen-Darm-Krankheiten mit dem Schwerpunkt Endoskopie in München nieder. Neben der ärztlichen Arbeit leitete Schindler bis 1933 das Münchener Ärzteorchester.

Nach akribischer Vorarbeit stellte Rudolf Schindler am 06.07.1932 im Ärztlichen Verein Münchens sein semiflexibles Gastroskop vor, das er gemeinsam mit dem Berliner Instrumentenbauer Georg Wolf entwickelt hatte (Wolf-Schindler-Gastroskop). Dieses Gerät war seither bis Ende der 1950er Jahre das Standardinstrument für die Gastroskopie. Schindler unterstütze um 1930 in München die Ideen und Experimente des Medizinstudenten Heinrich Lamm, die dieser mit Glasfiberbündeln zur Lichttransmission und Bilderzeugung für Endoskope anstellte. Schindler konzentrierte sich allerdings auf sein eigenes optisches System mit vielfach hintereinander geschalteten Linsen.

 

1933

Noch am 25. 02. 1933 wurde Rudolf Schindler für die große Innovation, die das semiflexible Gastroskop darstellte, im Bayerischen Staatsanzeiger gewürdigt.

Münchener Medizinische Wochenschrift 1932
Münchener Medizinische Wochenschrift 1932
Wolf-Schindler Gastroskop im Originalkasten
Wolf-Schindler Gastroskop im Originalkasten

Seit dem April 1933 war er den Repressalien der NS-Behörden ausgesetzt. Unter anderem durfte er das Münchener Ärzteorchester nicht mehr dirigieren. Nach einer Denunziation wurde Schindler in sogenannte Schutzhaft genommen. Er befand sich vom 31.01. bis 06.04.1934 auf Anordnung der GESTAPO im Münchener Zentralgefängnis. In einem Schreiben der Bayerischen Politischen Polizei vom 12.03.1934 wird Schindlers Beitrag zur Entwicklung des neuen Gastroskops in Zweifel gezogen: „Dr. Schindler ist nicht der Erfinder des Magenspiegels, sondern hat nur den Gedanken, den Magen von außen zugänglich zu machen, in den letzten Jahren gefördert“ (Gestaposchutzakten, Bayerisches Staatsarchiv). Zudem wird ein von Schindler geplanter Gastroskopie-Kurs mit internationalen Besuchern Anfang März 1934 zum Anlass genommen, seine „Schutzhaft“ bis Anfang April 1934 zu verlängern, um „Gräuelnachrichten zu vereiteln“.

 

Flucht in die USA 1934

Nach den Verfolgungen durch die NS-Behörden floh Schindler mit seiner Familie im Sommer 1934 aus Deutschland. Am 27.07.1934 gelangten sie von Antwerpen, Belgien, mit der S.S. Pennland in die USA. New York erreichte die Familie am 06.08.1934. Von dort konnten sie nach Chicago weiterreisen. Die in Chicago geborene und bei dem Gastroenterologen Walter Lincoln Palmer tätige Ärztin Marie Ortmayer (1884 – 1974) hatte 1924 während einer Europareise bei Schindler hospitiert und sich für dessen Gastroskop interessiert. Sie war es, die die Hilfe Walter L. Palmers und eines Unterstützerkreises in den USA sowie finanzielle Mittel vermittelte. So konnte Schindler ein Einreisevisum erhalten und seit 1934 als Visiting Professor, seit 1937 als Associate Professor am Albert Merritt Billings Hospital, Department of Medicine, University of Chicago, tätig sein.

Er arbeitete mit Marie Ortmayer und einem Kreis junger Gastroenterologen in der GI Unit Walter L. Palmers zusammen, machte sein Gastroskop rasch in den USA bekannt und forschte zur Magenpathologie. 1937 publizierte Schindler sein monographisches Werk „Gastroscopy, The Endoscopic Study of Gastric Pathology“, das er Marie Ortmayer widmete. Das Werk ist gleichsam die Summe seiner Arbeit seit 1920. 1947 folgte die Monographie Gastritis, die vor allem auf seinen Forschungsergebnissen zur Histopathologie der Magenschleimhaut basiert.

1st Edition 1937, hier 2nd Edition 1950
1st Edition 1937, hier 2nd Edition 1950

Am 26.04.1939 wurden Rudolf Schindler, seine Ehefrau Gabriele und seine Kinder Ursula und Richard aus dem Deutschen Reich ausgebürgert. Am 03.07.1940 erhält Schindler die amerikanische Staatsbürgerschaft.

1941 gründete Schindler den American Gastroscopic Club. Aus diesem ging 1946 die American Gastroscopic Society hervor, die 1961 zur American Society of Gastrointestinal Endoscopy (ASGE) wurde. 1953 führte die amerikanische Endoskopiegesellschaft den Rudolf Schindler Award ein, mit dem hervorragende Beiträge auf dem Gebiet der Endoskopie gewürdigt werden. Mit dieser Auszeichnung ehrte die ASGE Schindler selbst 1962. Der Preis wird bis heute von der ASGE verliehen.

American Journal of Digestive Diseases 1942
American Journal of Digestive Diseases 1942

1943 wechselte Schindler von Chicago nach Los Angeles. Er war dort als Clinical Professor of Medicine/Gastroenterology am College of Medical Evangelists, heute Loma Linda Universität, tätig. Zudem war er Consultant für Gastroenterologie am Veterans Administration Hospital in Long Beach und führte eine große gastroenterologische Privatpraxis. 1957 erschien Schindlers Synopsis of Gastroenterology, ein Buch, das er für Internisten und Allgemeinärzte verfasst hatte.

Seinen Aufenthalt in Kalifornien unterbrach er von 1958 bis 1960, um an der Universität von Minas Gerais in Belo Horizonte, Brasilien, Gastroenterologie zu lehren. Für diesen Aufenthalt lernte der 70-Jährige die portugiesische Sprache. Im März 1964 starb Schindlers Ehefrau Gabriele. Rudolf Schindler kehrte im folgenden Jahr nach Deutschland zurück und heiratete seine in München lebende Jugendfreundin Marie (Mathilde) Koch, geb. Aumüller, mit der er zeitlebens verbunden geblieben war.

1966 veröffentlichte Schindler in der Klinischen Wochenschrift einen umfassenden eindrücklichen Übersichtsartikel über die Chronische Gastritis.

Rudolf Schindler starb 80-jährig am 06.09.1968 in München. Seit 2020 erinnert auf Initiative der DGVS eine Gedenktafel in der Eingangshalle in der München Klinik Schwabing an die Biografie und das Lebenswerk Rudolf Schindlers.

Gedenktafel, München Klinik Schwabing 2020
Gedenktafel, München Klinik Schwabing 2020

Eigene Publikationen (Auswahl)

  1. Probleme und Technik der Gastroskopie. Arch Verdauungskr 1922; 30: 133-166
  2. Lehrbuch und Atlas der Gastroskopie. München: J. F. Lehmanns Verlag 1923
  3. Ein völlig ungefährliches Gastroskop. Münch Med Wochenschr 1932; 79: 1268-1270
  4. Gastroscopy with a flexible gastroscope. Am J Dig Dis 1935; 2: 656-663
  5. Gastroscopy. The Endoscopic study of gastric pathology. Chicago: The University of Chicago Press 1937. 2nd edition 1950. 1966 Reprint-Ausgabe mit Ergänzungen.
  6. Gastritis. New York: Grune & Stratton 1947
  7. Synopsis of Gastroenterology. New York, London: Grune & Stratton 1957

Quellen und Literatur
zu den Quellen
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Quellen/Literatur/Weblinks

Biografie von Prof. Dr. med. Rudolf Schindler

Verzeichnis der Quellen

  • Büsche-Schmidt G. Otto Neubauer. Leben und Werk. Dissertation. In: Axel Hinrich Murken (Hg.). Studium zur Medizin-, Kunst- und Literaturgeschichte, Band 32, Axel Hinrich Murken (Hg.) Aachen; 1992
  • Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes. Archivband R 214/99830/071 und 072
  • Staatsarchiv München, Gestapo-Schutzhaftakten Nr. 8130003137
  • Staatsbibliothek Berlin. Schindler R. Dissertation: Ein Fall von Meningocele spuria traumatica kombiniert mit Pachymeningitis haemorrhagica interna. Berlin; 1912. SBB-SPK, Sign. Ja 3380-1912,10: 28f.
  • Stadtarchiv München, Meldeunterlagen Dr. Rudolf Schindler. Auskunft vom 22. 5. 2018

Verzeichnis der Literatur

  • Classen M. 1932: Erfindung des ersten brauchbaren Endoskops durch Rudolf Schindler. Endo-Praxis 2015; 31: 150-153
  • Dagradi AE, Stempien SJ. In memoriam. Dr. Rudolf Schindler. Gastrointest Endosc 1968; 15: 121f.
  • Davis AB. Rudolf Schindler’s role in the development of Gastroscopy. Bull Hist Med 1972; 46: 150-170
  • Gordon ME, Kirsner JB. Rudolf Schindler, Pioneer Endoscopist. Glimpses of the man and his work. Gastroenterol 1979; 77 (2): 354-361
  • Haubrich WS. Schindler who pioneered gastroscopy. Gastroenterology 1999; 117: 326
  • Henning N. In memoriam Prof. Dr. Rudolf Schindler. Munch Med Wochenschr 1969; 111: 885-887
  • Jenss H. Rudolf Schindler und das Gastroskop. Ein Blick in die Geschichte der Endoskopie. In: Jenss H, Gerken G, Lerch MM (Hg), 100 Jahre Deutsche Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten DGVS, München: August Dreesbach Verlag; 2013: 52-59
  • Jenss H. Heinrich Lamm und die Glasfiber-Endoskopie. Z Gastroenterol 2016; 54: 1204f.
  • Jenss H. Rudolf Schindler und das semiflexible Gastroskop – Erinnerung. Z Gastroenterol 2018; 56: 1292f.
  • Modlin IM, Farhadi J. Rudolf Schindler – A man for all seasons. J Clin Gastroenterol 2000; 31: 95-102
  • Morgenstern L. From the sword to Schindler: A saga of gastroscopy. Surg Innov 2009; 16: 93-96
  • Schäfer PK, Sauerbruch T. Rudolf Schindler (1888-1968) – “Vater” der Gastroskopie. Z Gastroenterol 2004; 42: 550-556
  • Schäfer PK. Rudolf Schindler und die Gastroskopie. Z Gastroenterol 2014; 52: 22-26
  • Schindler-Gibson U. Rudolf Schindler, MD: living with a Renaissance man. Gastrointest Endosc 1988; 34: 383-385
  • Stempien SJ, Dagradi AE. In memoriam: Dr. Rudolf Schindler 1888 – 1968. Gastroenterol 1969; 56: 367-369