Eine Erinnerungsarbeit der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten
In Erinnerung an

Prof. Dr. med.
Ferdinand Blumenthal
1870 - 1941

Prof. Dr. med. Ferdinand Blumenthal, Reichshandbuch, Berlin 1930
Prof. Dr. med. Ferdinand Blumenthal, Reichshandbuch, Berlin 1930

Mitglied seit 1925

Vorstandsmitglied und Schatzmeister der (D)GVS 1925 – 1933

Vorkämpfer für eine fortschrittliche Krebsmedizin und Krebsfürsorge

Flucht nach
Jugoslawien
1933 Flucht
nach Estland 1939

Publikation
Publikation "Die Krebskrankheiten", 1919

Prof. Dr. med. Ferdinand Blumenthal

  • 0‌5‌.‌0‌6‌.‌1‌8‌7‌0‌, Berlin
  • 0‌5‌.‌0‌7‌.‌1‌9‌4‌1‌, Estland
  • Mitglied seit 1925
  • Geflohen 1933, Jugoslawien
  • Berlin
  • Facharzt für Innere Medizin und früher Krebsforscher

„Unterzeichneter wurde geboren am 5ten Juni 1870 zu Berlin als Sohn des Königl. Sanitätsraths Dr. Julius Blumenthal und seiner Ehefrau Zerline, geb. Lesser. Zu Ostern 1879 trat ich in das Französische Gymnasium ein, welches ich Michaelis 1887 mit der Berechtigung zum einf. Dienst verließ. Vom Januar 1888 bis Ostern 1891 besuchte ich das Friedrich Werdersche Gymnasium, um dann nach erlangtem Zeugnis der Reife in Freiburg Medizin zu studieren“, so Ferdinand Blumenthal in seinem Lebenslauf vom 02.02.1896, mit dem er sich an der Berliner Charité um eine Volontariatsstelle bewarb.

 

Ausbildung und Wirkungsstätte

Blumenthal studierte in Freiburg, Straßburg, Zürich und Berlin Medizin. Zum Sommersemester 1895 kehrte er aus Berlin nach Freiburg zurück und wurde im Juli 1895 an der Freiburger Universität mit der Arbeit „Über den Einfluss des Alkali auf den Stoffwechsel der Mikroben“ promoviert, die er bei Ernst Salkowski im Chemischen Labor des Institutes für Pathologie an der Berliner Charité erarbeitet hatte. Die Freiburger Medizinische Fakultät hatte die kurz zuvor bereits publizierte Arbeit als Promotionsarbeit anerkannt. Das Staatsexamen legte er in Freiburg im Wintersemester 1895/96 ab. Frühzeitig interessierte sich Blumenthal für die physiologische Chemie und befasste sich mit chemischen Analysemethoden. Die Kooperation mit Ernst Salkowski bestand über drei Jahrzehnte bis zu dessen Tod 1923.

Dissertation, Freiburg 1895
Dissertation, Freiburg 1895

Seine internistische Ausbildung erhielt Blumenthal seit Februar 1896 in der I. Medizinischen Universitätsklinik der Charité in Berlin bei Ernst von Leyden. Während seiner Ausbildungszeit befasste er sich mit Fragen des Zuckerstoffwechsels, mit Immunphänomenen nach Infektionskrankheiten und mit Problemen der Serumtherapie. 1899 wurde er für das Fach Innere Medizin an der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität habilitiert. 1905 erhielt er eine Titularprofessur. Am 01.04.1929 wurde Blumenthal eine neu gegründete planmäßige beamtete Professur für Krebsforschung (Extraordinariat) an der Berliner Universität übertragen.

Ernst von Leyden bezog Blumenthal frühzeitig in die Planung der 1903 an der Charité eröffneten „Krankenabteilung für Krebsforschung“ (seit 1907 „Universitätsinstitut für Krebsforschung an der Charité“) ein. Diese als erste ihrer Art in Deutschland gegründete Forschungs- und Behandlungsstätte für Krebserkrankungen wurde zum Mittelpunkt der weiteren Tätigkeit Blumenthals. Anfänglich bestand das Institut aus zwei Baracken mit 20 Betten zur Betreuung der Patienten sowie einer Laboratoriums-Baracke. Blumenthal spezialisierte sich für das Fachgebiet der Krebsmedizin und wurde durch seine umfassenden Aktivitäten rasch national und international bekannt. Wissenschaftlich widmete er sich Untersuchungen über die Entstehung und den Stoffwechsel von Tumoren sowie deren Bekämpfung.

Als Ernst von Leyden 1907 emeritiert wurde, schied auch Blumenthal aus der I. Medizinischen Klinik der Charité aus. Er widmete sich der Fürsorgestelle für Krebskranke an der Charité, war Leitender Arzt für Innere Medizin am Krankenheim der Israelitischen Synagogengemeinde Adass Jisroel in der Berliner Elsässer Straße, setzte seine wissenschaftlichen Arbeiten über die chemischen Vorgänge in den Tumorzellen fort und leitete von 1914 bis 1916 die Abteilung für Innere Medizin am Städtischen Krankenhaus Berlin-Lichtenberg.

Als das Universitätsinstitut für Krebsforschung während des Ersten Weltkrieges in Turbulenzen geriet, sorgte Blumenthal seit 1915 mit hohem persönlichen Einsatz für den Fortbestand des Institutes. Zunächst leitete er das Institut gemeinsam mit dem Pathologen Johannes Orth. Seit 1922 war Blumenthal alleiniger Institutsdirektor. Er gab dem Institut eine moderne Struktur mit einzelnen Fachabteilungen, die von frühen Spezialisten in deren jeweiligen Fachgebieten geleitet wurden: in der Radium- und Röntgenabteilung waren Ludwig Halberstaedter, Albert Simons und Jakob Tugendreich tätig, die Abteilung für Hämatologie und Histologie wurde von Hans Hirschfeld geführt, die Sektion für Virusforschung wurde von Ernst M. Fränkel geleitet und im Chemischen Labor waren Otto Rosenthal und Arthur Lasnitzki tätig. Mit Rhoda Erdmanns Abteilung für Zell- und Gewebezüchtung bestand eine enge Zusammenarbeit. 1929 übernahm die junge Esther Eugenie Klee-Rawidowicz eine eigene Abteilung für experimentelle Krebsforschung an dem von Blumenthal geleiteten Institut.

Publikation
Publikation "Die Krebskrankheiten", 1919

Blumenthal vertrat frühzeitig das Konzept der Tumorzentren („centres anticancéreux“) mit einer interdisziplinären Entscheidungsfindung und Behandlung sowie einer multimodalen Tumortherapie. Daneben engagierte er sich intensiv für eine nachgehende Krebsfürsorge mit speziell qualifizierten Fürsorgerinnen. Diese führten Hausbesuche durch und bezogen die sozialen sowie häuslichen Verhältnisse der Patientinnen und Patienten in die Betreuung ein.

Seit 1919 war Blumenthal Generalsekretär im „Deutschen Zentralkomitee zur Erforschung und Bekämpfung der Krebskrankheit“. Er arbeitete unermüdlich für eine breite Aufklärung über Krebserkrankungen mit dem expliziten Ziel der Krebsfrüherkennung.

Zu seinem 60. Geburtstag 1930 würdigten seine Schüler und Freunde Blumenthals wissenschaftliche und organisatorische Arbeit im Kampf gegen den Krebs mit einem Festband der Zeitschrift für Krebsforschung (1930; 32). Diese angesehene Zeitschrift redigierte er gemeinsam mit Friedrich Kraus bis 1933.

Zeitschrift für Krebsforschung, Festband 1930
Zeitschrift für Krebsforschung, Festband 1930

 

1933 bis Ende 1936 Tätigkeit in Jugoslawien

Unter dem Druck der NS-Behörden schrieb Blumenthal nach 37-jähriger Tätigkeit an der Charité am 22.04.1933 an den Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung: „In Anbetracht der obwaltenden Umstände bitte ich ergebenst mich von meinem Amt als Direktor des Instituts für Krebsforschung an der Charité entbinden zu wollen“. Zum 24.09.1933 wurde er in den Ruhestand versetzt (§ 3 des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums, „nicht arische Abstammung“) und die Lehrbefugnis wurde ihm entzogen.

Rücktrittsscheiben an den Minister, April 1933, Archiv Humboldt-Universität Berlin, Personalakte Blumenthal
Rücktrittsscheiben an den Minister, April 1933, Archiv Humboldt-Universität Berlin, Personalakte Blumenthal
Rücktrittsschreiben an den Dekan der Medizinischen Fakultät, Mai 1933, Archiv Humboldt-Universität Berlin, Personalakte Blumenthal
Rücktrittsschreiben an den Dekan der Medizinischen Fakultät, Mai 1933, Archiv Humboldt-Universität Berlin, Personalakte Blumenthal
Entlassung Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin, September 1933, Archiv Humboldt-Universität Berlin, Personalakte Blumenthal
Entlassung Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin, September 1933, Archiv Humboldt-Universität Berlin, Personalakte Blumenthal

Im Frühsommer 1933 verließen Blumenthal und seine Ehefrau Elli, geb. Aron, Deutschland. Zunächst hielten sie sich in der Schweiz auf. Die Universität Belgrad bot ihm eine Gastprofessur an, die Blumenthal im November 1933 antrat und die ihm für drei Jahre bis zum Dezember 1936 gewährt wurde. 1934 erschien Blumenthals Hauptwerk „Ergebnisse der experimentellen Krebsforschung und Krebstherapie“ außerhalb Deutschlands im A. W. Sijthoff Verlag im holländischen Leiden, das gleichsam die Summe seiner Arbeit darstellt.

Schreiben Blumenthals an die Berliner Universität über seine Berufung nach Belgrad, Oktober 1933, Archiv Humboldt-Universität Berlin, Personalakte Blumenthal
Schreiben Blumenthals an die Berliner Universität über seine Berufung nach Belgrad, Oktober 1933, Archiv Humboldt-Universität Berlin, Personalakte Blumenthal
Blumenthals Hauptwerk musste 1934 außerhalb Deutschlands erscheinen
Blumenthals Hauptwerk musste 1934 außerhalb Deutschlands erscheinen

Im Februar 1937 verließ er Belgrad und lebte danach überwiegend in Wien. Die Suche nach einer Tätigkeit in Wien blieb erfolglos. Er gab Gastvorlesungen in Rumänien und hielt sich kurzeitig in Paris auf. Pläne, in Griechenland eine Professur zu übernehmen, zerschlugen sich. Nach dem Einmarsch der Deutschen Wehrmacht in Österreich im März 1938 wurde Blumenthal für drei Monate verhaftet. Durch Intervention von Freunden, u. a. Ernst Moritz Fränkel aus England, kam er frei. Nach seiner Entlassung reiste Blumenthal erneut nach Jugoslawien. Seine Versuche, eine Einreisegenehmigung für Großbritannien zu erhalten, scheiterten. Im Januar 1939 wurde er von der albanischen Regierung zu Vorträgen nach Tirana eingeladen. In dieser Zeit wirkte er bei der Hilfe für jüdische Geflüchtete, die in Albanien Zuflucht gefunden hatten, mit.

Zweite Hälfte der 1930er Jahre © Familie Neuberg, New York
Zweite Hälfte der 1930er Jahre © Familie Neuberg, New York

 

Flucht nach Estland im März 1939

Als die politischen Spannungen zwischen Albanien und Italien zunahmen, gelang es Blumenthal mit seiner Ehefrau und den beiden Töchtern Zerline und Hildegard nach Estland zu fliehen. Tallinn erreichten sie am 22.03.1939. In Estland erhielt er die Erlaubnis, als Arzt zu arbeiten. Die weiteren Lebensumstände Blumenthals und seiner Familie in jener Zeit sind bisher unbekannt. Die jüngste Tochter, Herma, konnte im Juli 1938 über Triest in die USA fliehen, wo Ferdinand Blumenthals Bruder, der Dermatologe Franz Blumenthal, seit 1934 in Ann Arbor, Michigan, lebte.

Registrierung als Arzt in Tallinn 1940, National Archives of Estonia / Riigiarhiiv, State Archives. ERA, Best. 50, Verz. 4, A. 45
Registrierung als Arzt in Tallinn 1940, National Archives of Estonia / Riigiarhiiv, State Archives. ERA, Best. 50, Verz. 4, A. 45

1940 entzogen die NS-Behörden Blumenthal und seiner Familie die deutsche Staatsangehörigkeit. In Estland erlebte Blumenthal im Sommer 1940 wie das Land von der Sowjetunion annektiert wurde. Mit dem 11.09.1940 wurde ihm von den sowjetischen Behörden erlaubt, ärztlich tätig zu sein. Als die Deutsche Wehrmacht im Juni 1941 in Estland einmarschierte, wurde die Familie Blumenthal von den sowjetischen Behörden verhaftet und Anfang Juli 1941 einem Transport in die Sowjetunion zugeteilt.

Aberkennung der Deutschen Staatsbürgerschaft, April 1940, Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Potsdam
Aberkennung der Deutschen Staatsbürgerschaft, April 1940, Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Potsdam

Ferdinand Blumenthal starb 71-jährig während eines Angriffes der Deutschen Luftwaffe auf den Evakuierungszug aus Tallinn am 05.07.1941 in der Nähe der Bahnstation von Toila, im nordöstlichen Estland etwa 45 km westlich der Grenzstadt Narwa. Seine Ehefrau Elli und seine beiden Töchter Zerline und Hildegard sind seither verschollen.

Eine Schwester Blumenthals, Katharina Buss-Blumenthal, wurde 70-jährig im August 1942 in Auschwitz ermordet. Ein Bruder, der Berliner Jurist Hans Blumenthal, starb nach der Deportation im November 1942 im Ghetto Theresienstadt.

Eigene Publikationen (Auswahl)

  1. Innere Behandlung und Fürsorge bei Krebskranken. Z Krebsforschung 1911; 10: 134-148
  2. Krebsleiden. Ursachen, Verhütung und Bekämpfung. Gemeinverständlich dargestellt. Dresden: Verlagsanstalt Erich Deleiter, o. J.
  3. Die Krebskrankheiten. Ihre Erkennung und Bekämpfung. Berlin: Verlag von Otto Salle 1919
  4. Die Organisation des Kampfes gegen den Krebs in Deutschland (Vortrag, gehalten auf dem internationalen Symposium on Cancer Control, veranstaltet von der Society for Control of Cancer N. Y. USA in Lake Mohonk am 22. September 1926). Z Krebsforschung 1926; 24: 459-464
  5. Entstehung und Entwicklung des Universitätsinstituts für Krebsforschung an der Charité zu Berlin. Z Krebsforschung 1928; 27: 1-11
  6. Ergebnisse der Experimentellen Krebsforschung und Therapie. Leiden: A. W. Sijthoff’s Uitgeversmaatschappij N. V. 1934
Danksagung

Dem Enkelsohn Ferdinand Blumenthals, Peter Chanin, USA, gebührt Dank für die Kontakte seit 2012. Dem ebenfalls in den USA lebenden Frank Blumenthal, dem Neffen Ferdinand Blumenthals, gebührt Dank für biographische Hinweise zur Blumenthal-Familie. Ferdinand Blumenthals Großnichte, Birgit Neuberg-Aron, USA, ist die ausführliche Geschichte der Familie Neuberg-Blumenthal zu verdanken.


Quellen und Literatur
zu den Quellen
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Quellen/Literatur/Weblinks

Biografie von Prof. Dr. med. Ferdinand Blumenthal

Verzeichnis der Quellen

  • Archiv der Humboldt Universität Berlin. UA HUB. PA B 262, Bd. 1 – 4
  • Deutscher Reichsanzeiger Nr. 202 und Preußischer Staatsanzeiger vom 29. August 1940
  • Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten (LABO) Berlin. Abt. I. Entschädigungsbehörde. Entschädigungsakte Herma Chanin (Tochter Ferdinand Blumenthals) Berlin. Nr. 54 454
  • Hellmann-Mersch B. Dissertation: Institutionen zur Krebsforschung und Krebsbekämpfung in Deutschland. Historischer Überblick und Analyse. Aachen 1994:115-200
  • Landeshauptarchiv Brandenburg. Bestand Rep 36 A II Nr. 3712 und Rep 36 A / G 324 / 1 (Aberkennung der Staatsbürgerschaft; Geltendmachung von Ansprüchen)
  • National Archives of Estonia, Riigiarhiiv, State Archives. ERA, Best. 50, Verz. 4, A. 45
  • Oxford, Bodleian Libraries. MS. SPSL 378 / 9, Fol 223 – 252: Society for the Protection of Science and Learning. Ferdinand Blumenthal.
  • The Neuberg/Aron Family Chronicle. Leo Baeck Institute New York. Manuscript Collection MS 531, MSF 50

Verzeichnis der Literatur

  • Forsbach R, Hofer H-G. Internisten in Diktatur und junger Demokratie. Die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin 1933-1970. Berlin: Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft 2018: 417
  • Fischer I. Biographisches Lexikon der hervorragenden Ärzte der letzten fünfzig Jahre. Band I. Berlin, Wien: Urban & Schwarzenberg; 1932:
  • Jenss H, Reinicke P. Ferdinand Blumenthal, Kämpfer für eine fortschrittliche Krebsmedizin und Krebsfürsorge. Jüdische Miniatur Band 128. Berlin: Hentrich & Hentrich Verlag; 2012:
  • Kagan S. Jewish Physicians. Boston: Medico-Historical Press 1952: 315
  • Kraus F. Ferdinand Blumenthal. Z Krebsforschung 1930; 32: 3f.
  • Sekules E. Surviving the Nazis, exile and siberia. London, Portland (OR): Vallentine Mitchell; 2000: 72f.
  • Voswinckel P. Biographisches Lexikon der hervorragenden Ärzte der letzten fünfzig Jahre. Berlin 1932-1933. Band III. Hildesheim, Zürich, New York: Georg Olms Verlag; 2002: 84f.

Verzeichnis der Weblinks