Eine Erinnerungsarbeit der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten
In Erinnerung an

Dr. med.
Otto Fleck
1872 - 1943

Dr. med. Otto Fleck © Jüdisches Museum Berlin
Dr. med. Otto Fleck © Jüdisches Museum Berlin

Mitglied seit 1926

Ausbildung bei Curt Pariser und Theodor Rosenheim

Einer der ersten niedergelassenen Specialärzte für Magen-Darmkrankheiten

Arbeitszeugnis für Otto Fleck, Prof. Theodor Rosenheim 1898 © Jüdisches Museum Berlin
Arbeitszeugnis für Otto Fleck, Prof. Theodor Rosenheim 1898 © Jüdisches Museum Berlin

Dr. med. Otto Fleck

  • 1‌6‌.‌0‌5‌.‌1‌8‌7‌2‌, Düsseldorf
  • 1‌1‌.‌0‌1‌.‌1‌9‌4‌3‌, Shanghai, China
  • Mitglied seit 1925
  • Geflohen 1940, China
  • Danzig
  • Niedergelassener Specialarzt für Magen-, Darm- und Stoffwechselkrankheiten

„Geboren wurde ich als Sohn des Kaufmanns Louis Fleck am 16. Mai 1872 zu Düsseldorf. Confession israelitisch. Meine Schulbildung genoss ich auf dem kgl. Gymnasium zu Düsseldorf. Nachdem ich das Reifezeugnis Ostern 1890 erhalten hatte, widmete ich mich dem Studium der Medicin und studierte je ein Semester an den Universitäten Freiburg i. B., Bonn, Königsberg und acht Semester an der Universität München. An der letzten bestand ich zu Anfang des Wintersemesters 1892/93 die ärztliche Vorprüfung, promovierte im Sommersemester 1894 und bestand ein Jahr später 1895 die ärztliche Staatsprüfung“, so Otto Fleck in einem Lebenslauf vom 12.09.1896 (Nachlass Otto Fleck, Jüdisches Museum Berlin, Konvolut/497, 1311, Mp 1, 2028/24/1-4 ). Flecks Mutter war Julie Fleck, geb. Hirschland.

 

Ausbildung und Wirkungsstätte

Flecks Promotionsarbeit an der Ludwig-Maximilians-Universität München trägt den Titel „Zur Aetiologie der spontanen Hirnblutung im mittleren und jugendlichen Alter“. Die Arbeit fertigte er auf Anregung des Pathologen Otto von Bollinger und mit Unterstützung von dessen Mitarbeiter Hans Schmaus an. Die ärztliche Approbation erhielt Otto Fleck 1895.

Dissertation 1894, Kopie Titelblatt, Archiv H Je
Dissertation 1894, Kopie Titelblatt, Archiv H Je
Approbationsurkunde 1895 © Jüdisches Museum Berlin
Approbationsurkunde 1895 © Jüdisches Museum Berlin

Nach dem Examen war Fleck drei Monate als Volontärarzt bei dem Neurologen Emanuel Mendel in dessen Berliner Poliklinik für Nervenkrankheiten und über sechs Monate als Hilfsarzt in der Abteilung für Innere Medizin am Städtischen Krankenhaus Am Urban in Berlin tätig. Seine frühe Spezialisierung im neuen Fachgebiet der Gastroenterologie resultierte aus seiner Mitarbeit in der Berliner Poliklinik des Diätetikers und Stoffwechselforschers Curt Pariser. Pariser war eng mit Ismar Boas verbunden, gehörte 1912 zum Kreis der Mitbegründer der Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten und nahm 1914 bei der Durchführung der Ersten Tagung für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten in Bad Homburg eine entscheidende Mittlerfunktion ein. Zudem bildete sich Fleck in der Poliklinik Theodor Rosenheims fort, der in Berlin einer der frühen Gastroenterologen war, seine Ausbildung wesentlich in der III. Medizinischen Universitätsklinik der Charité bei Hermann Senator erhielt und sich frühzeitig mit der Endoskopie sowie mit dem noch neuen Krankheitsbild der Colitis ulcerosa befasste.

Arbeitszeugnis für Otto Fleck, Prof. Theodor Rosenheim 1898 © Jüdisches Museum Berlin
Arbeitszeugnis für Otto Fleck, Prof. Theodor Rosenheim 1898 © Jüdisches Museum Berlin

1898 ließ sich Otto Fleck als Specialarzt für Magen- und Darmkrankheiten in Danzig nieder. Er gehört damit zu den ersten niedergelassenen Gastroenterologen außerhalb Berlins überhaupt. Fleck führte in den folgenden fünfunddreißig Jahren bis 1933 eine erfolgreiche und sehr anerkannte Praxis. In Danzig war Fleck im Ärztlichen Verein aktiv und war Mitglied der Naturforschenden Gesellschaft der Stadt. 1918 wurde ihm in Anerkennung seiner Verdienste der Titel Sanitätsrat übertragen.

Otto Fleck Sanitätsrat © Jüdisches Museum Berlin
Otto Fleck Sanitätsrat © Jüdisches Museum Berlin
Visitenkarte Danzig © Jüdisches Museum Berlin
Visitenkarte Danzig © Jüdisches Museum Berlin

Im Januar 1925 heiratete er die medizinisch-technische Assistentin Eva Beermann, Tochter des in Heilbronn tätigen Rabbiners Dr. Max Beermann. Im Januar 1926 kam die Tochter Anne Marie Fleck auf die Welt.

 

Seit 1933

In der „Freien Stadt“ Danzig, die unter Aufsicht des Völkerbundes stand, gewannen die Nationalsozialisten bei der Volkstagswahl im Mai 1933 die absolute Mehrheit. Seither setzten sie zunehmend antijüdische Maßnahmen durch. So wurden seit August 1933 Juden aus den Berufsvertretungen ausgeschlossen.

1933 erlitt Otto Fleck einen Nervenzusammenbruch. 1934 unternahm er einen Suizidversuch, den er durch eine rasche Operation überlebte. In der Folge wurde er berufsunfähig, musste 1934 die Praxis aufgeben und lebte von einer Invalidenrente. Einen Ausgleich fand Otto Fleck in der Musik. Er spielte im Orchester des Jüdischen Kulturbundes Danzig Violine. Nach dem Novemberpogrom 1938 nahm die Diskriminierung und Verfolgung der Juden zu. 1938 verlor Fleck aufgrund der NS-Gesetzgebung seine ärztliche Approbation.

Reichsmedizinalkalender 1929, Otto Fleck, Zahl nach dem Namen = Jahr der ärztlichen Approbation, SR = Sanitätsrat, Magensymbol = Facharzt für Magen-, Darm und Stoffwechselkrankheiten, Gebäudesymbol = zusätzliche Tätigkeit in einer Privatklinik
Reichsmedizinalkalender 1929, Otto Fleck, Zahl nach dem Namen = Jahr der ärztlichen Approbation, SR = Sanitätsrat, Magensymbol = Facharzt für Magen-, Darm und Stoffwechselkrankheiten, Gebäudesymbol = zusätzliche Tätigkeit in einer Privatklinik
Aberkennung der Approbation 1938 © Jüdisches Museum Berlin
Aberkennung der Approbation 1938 © Jüdisches Museum Berlin

Die Familie entschloss sich, die 13-jährige Tochter mit einem Kindertransport im Mai 1939 nach England zu retten. In Chalford, in der Nähe der Stadt Stroud in der Grafschaft Gloucestershire fand Anne Marie Fleck Pflegeeltern, die sie in ihre Obhut nahmen.

Jüdisches Gemeindeblatt, Synagogen-Gemeinde zu Danzig, 5.
Mai 1939, Xi. Jg, Nr. 33, Titelblatt, Ausstellung in der Neuen Synagoge Danzig-Langfuhr, Foto Harro Jenss Mai 2024,
Jüdisches Gemeindeblatt, Synagogen-Gemeinde zu Danzig, 5. Mai 1939, Xi. Jg, Nr. 33, Titelblatt, Ausstellung in der Neuen Synagoge Danzig-Langfuhr, Foto Harro Jenss Mai 2024,
Annemarie Fleck, 2.,stehend v. li, Kindertransport nach London, Bildquelle: Jüdisches Museum Berlin, Nachlass Familie Fleck
Annemarie Fleck, 2.,stehend v. li, Kindertransport nach London, Bildquelle: Jüdisches Museum Berlin, Nachlass Familie Fleck
Denkmal zur Erinnerung an die Kindertransporte von Danzig/Gdańsk nach London. Von Frank Meisler gestaltet. Foto Harro Jenss, Mai 2024
Denkmal zur Erinnerung an die Kindertransporte von Danzig/Gdańsk nach London. Von Frank Meisler gestaltet. Foto Harro Jenss, Mai 2024

Die Bemühungen der Familie Fleck um eine Flucht aus Deutschland in die USA oder Lateinamerika scheiterten zunächst an fehlenden Visa und gestalteten sich auch in der Folgezeit erfolglos. Seit 1939 erhielt Fleck als Jude keine Invalidenrente mehr. Nach einer Warnung vor einer bevorstehenden Verhaftung verließ das Ehepaar Fleck im Februar 1940 fluchtartig Danzig, lebte vorübergehend in Berlin und gelangte schließlich über einen der wenigen verbliebenen Fluchtwege im Mai 1940 von Triest aus mit der S.S. Conte Rosso nach Shanghai. Dort konnte Otto Fleck für einige Zeit bis zu einer erneuten Erkrankung ärztlich tätig sein.

Arbeitslizenz für Otto Fleck in Shanghai © Jüdisches Museum Berlin
Arbeitslizenz für Otto Fleck in Shanghai © Jüdisches Museum Berlin
Arbeitslizenz für Otto Fleck in Shanghai © Jüdisches Museum Berlin
Arbeitslizenz für Otto Fleck in Shanghai © Jüdisches Museum Berlin
Visitenkarte Shanghai © Jüdisches Museum Berlin
Visitenkarte Shanghai © Jüdisches Museum Berlin

Otto Fleck starb 70-jährig am 11.01.1943 nach einem 15-monatigen Krankenlager an den Folgen eines Schlaganfalls in Shanghai. Seine Grabstätte befindet sich auf dem Point Road Cemetery, einem der damals vier jüdischen Friedhöfe Shanghais.

Todesanzeige für Otto Fleck <br> © Jüdisches Museum Berlin
Todesanzeige für Otto Fleck
© Jüdisches Museum Berlin
Grabstein für Otto Fleck, Jüdischer Friedhof Shanghai © Jüdisches Museum
Grabstein für Otto Fleck, Jüdischer Friedhof Shanghai © Jüdisches Museum

Seine Ehefrau Eva Fleck konnte im Januar 1947 aus China in die USA nach San Francisco gelangen. Seither lebte sie in Berkeley. Die Tochter Anne Marie Fleck, die in London eine Ausbildung begonnen hatte, übersiedelte im Mai 1948 in die USA, wo sie ihre Mutter nach neun Jahren wiedertraf. Eva Fleck starb 1983 in Los Angeles. Die Tochter Anne Marie starb 2010 ebenfalls in Los Angeles.

Danksagung

Außerordentlicher Dank gebührt Aubrey Pomerance, Leiter des Archivs im Jüdischen Museum Berlin sowie Franziska Bogdanov, wissenschaftliche Dokumentarin, ebenfalls Jüdisches Museum Berlin, für ihre großartige Hilfsbereitschaft und Kooperation. Ohne ihre Unterstützung wäre diese Biographie-Seite über Otto Fleck nicht möglich gewesen.

 

 

Beitrag von Dr. med. Harro Jenss, Worpswede


Quellen und Literatur
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Quellen/Literatur/Weblinks

Biografie von Dr. med. Otto Fleck

Verzeichnis der Quellen

  • Fleck O. Zur Aetiologie der spontanen Hirnblutung im mittleren und jugendlichen Alter. Dissertation, München 1894. Bayerische Staatsbibliothek (BSB), Sign. Diss.med. 269-12
  • Nachlass Anne Marie Fleck-Shavelson, Jüdisches Museum Berlin, Bestand: Konvolut/497, Inv.Nr. 2018/24/1-638, 2018/125/1-43,2018/126/0,2018/127/0, BIB/657/0, BIB /658/0 [Umfangreiche Dokumente und Fotografien zur Familie Dr. Otto Fleck und Eva Fleck, geb. Beermann]
  • Reichsmedizinalkalender 1900, Teil II, Ärztliches Handbuch und Ärzteverzeichnis / Reichs-Medizinal-Kalender für Deutschland / begründet von Dr. Paul Börner. Leipzig: Thieme, S. 84 [vgl. https://digital.zbmed.de/medizingeschichte/periodical/structure/5044019]
  • Listen über Juden, die im Zeitraum 1939 – 1948 in Shanghai verstarben und beerdigt wurden. Quelle H.I.A.S. ( Hebrew Sheltering & Immigrant Aid Society, amerikanisch-jüdische Hilfsorganisation ) in Shanghai / China, erkalten über H.I.A.S. New York, Arolsen Archives: https://collections.arolsen-archives.org/de/document/78827375